Angesichts der Entwicklungen in den letzten Monaten bezüglich des Konfliktes in und um die Ukraine, der zunehmend chaotisch werdenden Situation im Nahen Osten und einer konfrontativen Politik, die meines Erachtens fundamental gegen die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands und Europas gerichtet ist, ist es meiner Auffassung nach von entscheidender Bedeutung, dass sich mehr und mehr Bürger über solch lang angelegte Geopolitischen Leitlinien gewahr werden.
Als Einstieg greife ich zwei Sätze auf, die Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit in einem am 2. September veröffentlichten Interview mit der Schweizer Tageszeitung „Der Bund“ geäußert hatte:
(Quelle: derbund.ch)Damit lässt sich die Existenz der Nato als Überbleibsel des Kalten Kriegs wieder rechtfertigen …
Je konfrontativer das Verhältnis zu Moskau ist, umso grösser ist die amerikanische Dominanz in Europa.
In einem Blogbeitrag (hier) ist der ganze Sachverhalt noch ein bisschen umfangreicher dargelegt und mit zusätzlichen Strängen und Quellen versehen. Wer ein wenig mehr Zeit aufbringen kann sich mit diesem Thema zu beschäftigen, dem empfehle ich dem Link zum Blog zu folgen.
Kontinuität geopolitischer Leitlinien der beiden angelsächsischen Weltmächte
Der Britische Geograph und Politikwissenschaftler Sir Halford Mackinder entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine sogenannte „Heartland-Theorie“.
(Quelle: Hans-Christof Kraus, faz-net, 24.07.2012)In seiner neuen Analyse der Landoberfläche des Globus ordnete er die Seemächte dem „äußeren insularen Bereich“ zu, während er Europa, Asien und Afrika als gigantischen Großkontinent auffasste, den er die „Weltinsel“ nannte. Kern dieser Weltinsel war das „Herzland“ („pivot area“)
(Bildquelle: wikimedia.org)
(Quelle: Hans-Christof Kraus, faz-net, 24.07.2012)im Umfeld des „Herzlandes“ seien sieben Achtel der Weltbevölkerung angesiedelt, auch befinde sich in diesem Gebiet der bei weitem größte Anteil der auf der Erde verfügbaren Rohstoffe. Künftige Herrscher der Welt könnten daher nicht mehr die angelsächsischen Seemächte sein, …
Diese Theorie wurde in den frühen 1940er Jahren durch den US-Amerikaner Nicholas Spykman weiterentwickelt zur “Randland, bzw. Rimland-Theorie“.
Von entscheidender Bedeutung sei es nicht die Kontrolle über den Kern des eurasischen Herzlandes zu erlangen, sondern über dessen Randgebiet, welches sich von Skandinavien über Mittelosteuropa, die Türkei, die arabischen und vorderasiatischen Länder und Indien bis hin nach Indochina, Korea, Ost- und Nordchina erstreckt.
(Quelle: Hans-Christof Kraus, faz-net, 24.07.2012)wem es gelinge, dieses Randland mit seinen ungeheuren Menschenmassen und seinen unerschöpflichen Rohstoffen unter die eigene Kontrolle zu bringen, sei der Herr der Erde oder könne zumindest den anderen Mächten, gerade auch den traditionellen Seemächten, seinen Willen aufzwingen.
Hier gilt es folgenden wichtigen Aspekt festzuhalten. Die globalen geopolitischen Leitlinien, welche die Handlungsweisen des Britischen Imperiums – zumindest in seiner Spätphase – bestimmt haben, wurden spätestens nach dem gewonnenen zweiten Weltkrieg von den USA übernommen, weiterentwickelt und fortgeführt.
Gemessen an Bedeutung, Einfluss und Denkschule folgte auf Halford Mackinder und Nicholas Spykman der polnisch stämmige US-amerikanische Politikwissenschaftler Zbigniew Brzeziński. Dieser hatte als Berater verschiedener US-Präsidenten großen Einfluss auf die Außenpolitik der USA. Auch Barack Obama hörte während seiner ersten Amtszeit auf Brzezińskis Rat.
Als Berater Jimmy Carters war es seine Idee radikal islamistische Kräfte in Afghanistan zu stärken und dadurch die säkulare Regierung Afghanistans zu stürzen. Letztlich ging es darum eine sowjetische Intervention zu provozieren, um der Sowjetunion ein „eigenes Vietnam“ zu bereiten.
Brzezinski veröffentlichte 1997 ein Buch dem Titel „The Grand Chessboard“ (Das große Schachspiel), in welchem er den zu gehenden geopolitischen Weg der einzig verbliebenen - und seiner Ansicht nach letzten - globalen Supermacht vorzeichnete. 1998 erschien die deutsche Version mit der vom Original abweichenden Bezeichnung: „Die einzige Weltmacht“. Nachfolgend einige Zitate aus diesem Buch.
Eurasien:
EuropaAmerikas geopolitischer Hauptgewinn ist Eurasien.
der Fortbestand der globalen Vormachtstellung Amerikas hängt unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv es sich in Eurasien behaupten kann. (pdf-file, S. 54/55)
Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird. (pdf-file, S. 58)
NATO / IWF / WeltbankVor allen Dingen aber ist Europa Amerikas unverzichtbarer geopolitischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent…
Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern. (pdf-file, S. 95)
Ukraine:Die Nordatlantische Allianz … verleiht den Vereinigten Staaten selbst in innereuropäischen Angelegenheiten eine wichtige Stimme.
Die NATO bietet … die Grundlage für die politisch entscheidende Militärpräsenz der USA in Westeuropa.
Offiziell vertreten der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert, … (pdf-file, S. 50/51 u. S. 82)
RusslandDie Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr… (pdf-file, S. 77)
Bezüglich einer Kooperation Russlands mit China:Rußland war einfach zu rückständig und durch den Kommunismus zu heruntergewirtschaftet, um ein brauchbarer demokratischer Partner der Vereinigten Staaten zu sein. (pdf-file, S. 160/161)
Keine andere Option kann Rußland die Vorteile verheißen, die ein modernes, reiches, demokratisches, an die USA gekoppeltes Europa zu bieten vermag. (pdf-file, S. 183)
Die drei großen Imperative imperialer Geostrategie:Das gefährlichste Szenario wäre möglicherweise eine große Koalition zwischen China, Russland und vielleicht dem Iran, … (pdf-file, S. 90)
(Quelle: Zbigniew Brzeziński – “Die einzige Weltmacht”)Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, daß die »Barbaren«völker sich nicht zusammenschließen. (pdf-file, S. 67)
Für mich wären Sinn und Zweck dieses Beitrags bereits erfüllt, wenn der ein oder andere Leser daraufhin beginnen würde Nachrichten und Meldungen die Außen-und Sicherheitspolitik betreffend auch hinsichtlich geopolitischer Aspekte einzuordnen und sich nicht mehr von einer allzu reißerischen und sträflich vereinfachenden Berichterstattung, die eben diese Aspekte ausspart, blenden ließe.