Re: Aktuelle News
Verfasst: Mi Okt 27, 2010 2:08 pm
Analyse: Tomas Oral – Ein kompetenter Trainer mit Ecken und Kanten
Etwas mehr als vier Monate ist es her, als Tomas Oral am 18. Juni 2010 auf einer Pressekonferenz im Radisson Blu Hotel als neuer Trainer von RasenBallsport Leipzig vorgestellt wurde. Es war das Ende eines vermutlich lange geplanten Kahlschlages der RB-Führungsriege in Salzburg, bei dem der Trainerstab und zahlreiche Spieler den übergeordneten Zielen von Red Bull zum Opfer fielen und ausgetauscht wurden. Der neue Trainer muss sich seitdem ständige Vergleiche mit seinen Vorgänger gefallen lassen und steht mehr denn je unter Druck.
RB Leipzig stieg in der Saison 2009/2010 mit 22 Punkten Vorsprung vor dem stärksten Verfolger Budissa Bautzen von der Oberliga in die Regionalliga auf. Die Mannschaft konnte bei 30 Spielen lediglich vier Partien nicht gewinnen, stellte mit 17 Gegentoren die beste Abwehr der Liga und mit 74 Toren den besten Angriff. Trotzdem wurde der Trainerstab um Tino Vogel, Co-Trainer Lars Weißenberger und Sportdirektor Joachim Krug von ihren Aufgaben entbunden, vorher durfte bereits Präsident Andreas Sadlo seine Koffer packen. Zudem wurden verdiente Spieler wie Jochen Höfler (KFC Uerdingen), Christian Reimann, Alexander Moritz (beide CZ Jena), Sebastian Hauck und Toni Jurascheck (beide RW Erfurt II) für nicht regionalligatauglich befunden und aussortiert. Ein Vorgang, der in seiner Art und Weise der Umsetzung beschämend war und den die betreffenden Personen nicht verdient hatten. Doch mittlerweile gehört dieser Akt leider zur noch jungen Geschichte des Vereins und gerät immer mehr in Vergessenheit, schließlich ist im Fußball nur noch das Heute und Morgen interessant und nicht mehr das gestrige.
Tomas Oral, 37 Jahre, verheiratet, ehemaliger Trainer des Zweitligisten FSV Frankfurt übernahm den Schleudersitz in Leipzig und nahm die Aufgabe, den direkten Durchmarsch in der Regionalliga zu schaffen und attraktiven Fußball zu zeigen, selbstbewusst an. Es dauerte eine Weile, bis sich der Großteil der Fußballinteressierten mit Oral auseinandersetzten und ihn als Trainer akzeptierten – denn insgeheim hatten viele auf einen „großen“ Namen wie Felix Magath gehofft. Doch Red Bull wollte einen Aufstiegstrainer haben, einen der Visionen hat, der sich von öffentlicher Kritik nicht einschüchtern lässt und der den „von Natur aus faulen Profis“ (Zitat Sven Neuhaus) Beine macht – Tomas Oral.
Nach 11 Regionalligaspielen, einem Pokalspiel, ein paar Freundschaftsspielen und unzähligen Trainingseinheiten lässt sich mittlerweile ein ganzes gutes Bild von Tomas Oral skizzieren. Er ist ein akribischer Arbeiter und Perfektionist, der selbst nach Siegen immer etwas an seiner Mannschaft auszusetzen hat. Bei Pflichtspielen ist der junge Trainer oftmals an der Seitenlinie aktiver als seine eigenen Spieler - das gehört zu seiner emotionalen Art den Fußball zu leben, genauso wie die Wortgefechte mit gegnerischen Trainern und Schiedsrichtern während eines Spiels. Bei Pressekonferenzen gibt er sich stets ruhig und gelassen, spricht selbstbewusst, stellt sich meist schützend vor sein Team und lässt die Kritik größtenteils an sich abprallen. Für manche ist das eine arrogante Art, die zu dem Verein passt. Für andere ist es eine perfekte Fassade, um sich vor der den ständigen Angriffen von Medien und Öffentlichkeit zu schützen – anders kann ein Trainer heutzutage im immer härter werdenden Profigeschäft wohl auch nicht mehr bestehen.
Doch es gibt auch negative Seiten. Während Tino Vogel eher der Herzensmensch war, der mal mit seinen Spielern eine Bratwurst essen ging, ihnen oftmals trainingsfrei gab und stets den Kontakt zu den Fans suchte, ist Oral das genaue Gegenteil von ihm. Oral ist der Chef, dem sich alle bedingungslos unterzuordnen haben. Er fordert absolute Disziplin von seinen Schützlingen, wer aus der Reihe tanzt, wird aussortiert – passendes und aktuelles Beispiel ist Patrick Bick. Er hasst es, wenn es nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat. Sei es z.B. wenn nach Abschluss einer Trainingseinheit ein Ball fehlt und der Bus zur Abfahrt bereitsteht – da müssen schon mal alle Spieler wieder aus der Umkleidekabine heraus und den verlorenen Schatz suchen. Er trainiert hart und viel, sagen die Spieler – die Leistungsdiagnostiken sagen, die Spieler haben teilweise die besten Werte ihrer Karriere. Einige Spieler beschweren sich über den rauen und harten Umgangston, den Oral ab und an zu pflegen scheint. Bei Pressekonferenzen gab es zuletzt unglückliche Formulierungen, die Oral so nicht gemeint hat aber in der Öffentlichkeit wortwörtlich so aufgefasst wurden. Beispiel Plauen, Oral nach dem Spiel sinngemäß: „Es ist mit Sicherheit kein Highlight, an einem Freitagabend gegen Plauen zu spielen.“. Dabei meinte er aber nur, dass es sicherlich leichtere Spiele nach der schweren Woche mit der ersten Saisonniederlage gegeben hätte. Ein weiterer Kritikpunkt ist die schier aussichtslose Suche nach einer Stammelf und einem passenden taktischem Konstrukt. Tomas Oral hat es bisher noch nicht geschafft, zweimal in Folge dieselbe Elf auf den Platz zu schicken – was teilweise auch an Sperren oder Verletzungen lag. Publikumslieblinge wie Patrick Bick oder Carsten Kammlott sitzen nur auf der Bank oder dürfen nur noch in der zweiten Mannschaft mittrainieren – einige nehmen ihm das übel. Spielerisch ist bisher auch nur wenig Fortschritt zu sehen, der von Oral immer wieder gepredigte „Prozess“ scheint nicht zu funktionieren oder ist für die Öffentlichkeit wenig sichtbar. Nach dem 0:1 gegen Wolfsburg forderten die ersten bereits seinen Rauswurf – die Fans waren angesichts des Neun-Punkte-Rückstands auf die Tabellenführung wütend, Oral bekam unschöne Synonyme wie „Napoleon“ oder „Diktator“.
Es ist heute sehr leicht, eine sportliche Krise am Trainer fest zu machen, auch bei RB Leipzig ist dieses Phänomen eingetreten. Einige sollten aber schnellstens damit aufhören, Tino Vogel nachzutrauern und ständige Vergleiche mit seiner Bilanz und der von Oral zu ziehen. Oberliga und Regionalliga sind Äpfel und Birnen, genauso wie der völlig unterschiedliche Kader. Der einzige Vergleich, der erlaubt ist, ist der, dass beide Teams nicht überzeugen konnten, aber im Gegensatz zur Oral-Elf hat die Vogel-Mannschaft trotzdem ihre Spiele irgendwie gewonnen, wie auch immer sie das geschafft hatten.
Tomas Oral hat das volle Vertrauen aus der RB-Zentrale in Salzburg, auch die Fans sollten ihm weiterhin Zeit zugestehen, auch wenn es nicht immer leicht ist. Es dauert momentan länger, als viele erwartet oder geplant hatten, aber Oral ist ein guter Trainer, der mit dieser Mannschaft auch aufsteigen wird, wenn man ihn in Ruhe arbeiten lässt.
Rojiblanco