Roter Brauser hat geschrieben: ↑Mo Apr 01, 2019 11:03 am
Heute werden andere Meinungen nicht akzeptiert, nicht mal mehr toleriert und der Vorwurf der "Nestbeschmutzung" ist allgegenwärtig. Auch die Selbstironie ist flöten gegangen - beim Hertha-Heimspiel wurde das erste Mal seit langem wieder "Wir sind Schweine" angestimmt.
Ja, das stimmt.
Aber, nimm es mir bitte nicht übel, bei dir ist mir in letzter Zeit auch etwas zu viel „Früher-war-alles-besser“ dabei. Auch wenn ich oft deine Meinung über unsere Nachwuchsarbeit teile, manchmal wirst du ungerecht und verteufelst hier Dinge, die du andernorts durchaus relativieren kannst.
Ich denke, dass hängt mit unserem Erfolgs-Düsenjet zusammen, der in nicht mal 10 Jahren jeden vorhanden Gipfel überflog. Hier als Fan, als Mensch, mitzuhalten fällt unheimlich schwer. Und jetzt ist man an der Decke angekommen, sieht nach unten und sehnt sich nach dem Fußboden. "Ach war das früher geil, als wir noch ein verschworener Haufen in der Regionalliga waren." (Will die 4. Liga wirklich jemand zurück?)
Ich meine, mir geht das auch irgendwie so. In der Anfangszeit war RB in meinen Augen ein richtig geiler und spannender Verein. Alles war neu, unverbraucht wie frisch gestrichen oder frisch verliebt. Oft genug holte sich RB eine blutige Nase, weil man mal falsch abgebogen war. Egal, Rückwärtsgang rein und andere Straße.
Auch die Fanszene fand ich damals frisch und unverbraucht. Durch die fehlende Tradition musste man sich auch nicht mit alten Mumien herumschlagen. Die Szene war witzig, trotzig. Etwas Selbstironie hier, etwas Zynismus da. Von allem etwas, aber trotzdem unheimlich geerdet.
Aus diesem Verein zum Anfassen wurde ein durchgestylter Hochglanz-Bundesligist. Da blieb viel von der Anfangssympathie auf der Strecke, musste auf der Strecke bleiben. Ich glaube das wird auch Minzlaff und Co. inzwischen bewusst, und man entsinnt sich mehr der eigentlichen Fans anstatt ausschließlich volatile VIP’s zu umgarnen.
Manchmal hat man den Eindruck, dass Erfolg viel neue Fans dazugewinnen lässt, die „alten“, also die, die bei uns von Anfang an dabei waren, hat er eher erschreckt.
Du und auch Jupp, ihr habt mal in einem älteren Beitrag geschrieben, dass euch momentan Identifikationsfiguren wie Frahn, Kaiser, Coltorti oder auch Bellot fehlen würden. Das ist schon irgendwie verrückt, dass man immer eher der alten Zeiten gedenkt, als die Gegenwart richtig ernst zu nehmen. Denn eigentlich haben wir momentan mehr Spieler im Kader, die als Identifikationsspielern taugen, als je zu vor.
Momentan gibt es 15 Spieler, ehemalige und aktuelle, die mehr als 100 Pflichtspiele für RB absolviert haben. 10 davon, also Zweidrittel stehen davon im aktuellen Kader. Worüber will man sich denn sonst identifizieren, wenn nicht über Spiele, Einsätze, Schlachten. Da trauert man lieber einem Kutschke hinterher, obwohl ein Ilsanker genau so viel Herz in sein Spiel legt und ein Werner deutlich öfters das Trikot trug und auch öfters traf.
Der Mensch ist schon ein komischer Mensch.