Perry Bräutigam [soziale Projekte]
Verfasst: Di Okt 12, 2010 8:47 am
LVZ von heute:
Der verhinderte Nationaltorhüter
Die Wende beendete Perry Bräutigams Kurz-Karriere im DDR-Tor / Vorfreude aufs Spiel der Legenden
Die deutsche Fußball-Einheit wird 20, die dazugehörige Festivität dauert zwei Tage, steigt stilecht in der Heldenstadt. Am 20. November treten die Weltmeister von 1990 um Ehrenspielführer Lothar Matthäus in der Red-Bull-Arena gegen die Ost-Stars der Wendezeit an, tags darauf werden beim Festakt auf der Neuen Messe Krawatten umgebunden. Mittendrin: Kult-Keeper Perry Bräutigam.
Der Torwarttrainer von RB Leipzig fischte dieser Tage Post von der DFB-Kommandozentrale Frankfurt/Main aus seinem Briefkasten. DFB-General Wolfgang Niersbach lud in wohlfeilen Worten zum "Spiel der Legenden", hatte eine Antwortkarte beigelegt. Weil der Cheforganisator des Jubiläums Planungssicherheit braucht, musste Bräutigam wählen. Variante a: Ich nehme passiv teil. Bedeutet: Ich stemme ein paar Bier, gucke das Spiel, kann aber wegen baufälliger Körperteile nicht mitkicken. Bräutigam ist fit wie ein Turnschuh, machte sein Kreuz bei Variante b: Ich nehme aktiv teil.
"Ich freue mich total auf das Spiel, will natürlich auch auflaufen", sagt der 47-Jährige, der lange Jahre für Carl Zeiss Jena (1982 bis 1994) und Hansa Rostock (1995 bis 2002) im Kasten stand und inmitten der Wende-Wirren auf drei Länderspiele für die DDR kam. "1:0 in Schottland, 4:0 auf Malta und 3:3 in Brasilien", erinnert sich der Altenburger, der auch dem ersten gesamtdeutschen Länderspiel-Kader angehörte. Am 19. Dezember 1990 siegte Deutschland in Stuttgart 4:0 gegen die Schweiz. Weltmeister Bodo Illgner stand im Tor, Bräutigam saß 90 Minuten auf der Bank. Dennoch ein bleibendes Erlebnis. "Lothar Matthäus, Rudi Völler und all die anderen Stars haben mich super aufgenommen, da gab es keine Berührungsängste."
Die hatte auch der Maier Sepp nicht. Der damalige Bundestorwarttrainer (BTT) nahm den Torwächter des Zweitligisten FC Carl Zeiss im Stuttgarter Hotel zu Seite, sagte: "Perry, du hast gute Chancen bei uns, musst aber schnell in die Bundesliga wechseln." Ging nicht, weil Jena eine für damalige Verhältnisse unanständige Ablöse aufrief. "Die wollten eine Million D-Mark für mich, das schreckte ab." Unter anderem die brennend interessierte Borussia aus Gladbach.
Als der 1,90-Meter-Hüne anno 1995 endlich in der Bundesliga angekommen war, hatte sich gerade der heutige BTT Andreas Köpcke in der Nationalmannschaft unentbehrlich gemacht, drängelte auch ein gewisser Oliver Kahn auf Einsätze. Bräutigam trauert der entgangenen internationalen Karriere nicht nach. "Ich bin auch so zufrieden, habe lange gespielt, viel erlebt."
Sein Vertrag bei den Rasenballern läuft im Sommer aus, einer Verlängerung steht fast nichts im Wege. Falls der von den RB-Bossen erwartete Aufstieg misslingt, steht allerdings alles zur Disposition. Trainer, Fußballer, Busfahrer, Zeugwart - auch der Torwarttrainer. "Wir alle stehen unter Druck, aber der Job macht trotzdem Spaß. Ich will den Weg mit dem Club weitergehen", sagt Perry Bräutigam, der noch in einer Markranstädter Pension wohnt, im Fall der Vertragsverlängerung seine Frau von Rostock nach Leipzig holen wird.
Am 20. November wird Frau Bräutigam auf der Tribüne der RB-Arena sitzen, neben Frau Völler, Frau Matthäus und anderen Grazien. Ihr Perry wird an diesem Abend tun, was er gerne öfter getan hätte: Im Tor einer Nationalmannschaft stehen.
Guido Schäfer