Aufstieg nicht um jeden Preis
Ralf Rangnick über die Einkaufspolitik von RB, Stress, Entspannung, die Scheinwelt Fußball
Leipzig. Dieser Mann hat die Lizenz zum Aufsteigen. Den SSV Ulm führte Ralf Rangnick als Trainer von der 3. Liga in die Bundesliga, die TSG Hoffenheim zehn Jahre später ebenfalls. Zwischendurch brachte er Hannover 96 zurück ins Oberhaus (2002). Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, in welcher Liga RB Leipzig bald spielen wird. Ralf Rangnick ist bis zum Sommer noch in Doppelfunktion Sportdirektor bei Red Bull Salzburg und RB Leipzig. Dann will sich der 56-Jährige ganz auf seine Aufgabe in Sachsen konzentrieren. RB Leipzig übernahm er vor zweieinhalb Jahren in Liga vier - zweimal hintereinander ist der Klub seither schon aufgestiegen. Heute (18.30 Uhr) geht für RB mit dem Zweitliga-Spiel in Aue die Winterpause zu Ende.
Herr Rangnick, wie sehr ärgert es Sie, dass RB Leipzig bundesweit ein so schlechtes Image hat?
Es ist nicht meine Aufgabe, ständig den Erklärbären zu mimen. Natürlich sind wir mit einem Privileg versehen, Beispiel Rollrasen. Als wir vor dem letzten Hinrundenspiel gesehen haben, dass der Platz zu schlecht ist, haben wir entschieden: Wir legen einen neuen Rasen rein - und das nicht erst im Frühjahr, sondern noch am selben Tag. Was unsere Personalpolitik angeht, so laufen wir nicht mit dem Klingelbeutel durch die Gegend, kaufen wahllos Spieler und schwächen die Konkurrenz. Das ist schlicht falsch! Wir haben in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen Spieler von Klubs aus derselben Liga verpflichtet.
Nervt es Sie, wenn Ihr Klub als Schmuddelkind des Fußballs dargestellt wird?
Ich lasse das nicht an mich heran. Ich habe es in Hoffenheim ähnlich erlebt. Als wir zu unserem ersten Auswärtsspiel in Kassel ankamen, haben die Fans gesungen: "Scheiß Millionäre!" Dabei waren das zu diesem Zeitpunkt dieselben Spieler, die schon drei Jahre vorher dagewesen waren. Das ist nicht immer logisch, wenn heute Aalen oder Ingolstadt in den Chor der Kritiker einstimmen. Ingolstadt ohne Audi? Aalen ohne Herrn Scholz? Würde es wahrscheinlich in dieser Form so nicht geben.
Es arbeitet also doch in Ihnen
Ich habe Dietrich Mateschitz oft gefragt, was sein Motiv ist. Er möchte junge Menschen, die hochtalentiert sind, fördern. Sebastian Vettel hat er verpflichtet, da war der gerade 11 Jahre alt. Zum 11. Geburtstag hat er ihm einen handgeschriebenen Brief geschickt - da kannte Sebastian Vettel noch keiner. Als er dann irgendwann gesagt hat, dass er Formel-1-Weltmeister werden möchte, haben sich die anderen doch auf die Schenkel geklopft und gedacht: "Der hat zu viel Red Bull getrunken." Was Jahre später passiert ist, wissen wir alle Wir wollen nicht um jeden Preis aufsteigen - dann würden und müssten wir ganz andere Transfers machen. Wir setzen nach wie vor überwiegend auf junge Spieler.
Vermissen Sie die Arbeit auf dem Trainingsplatz?
Wenn es regnet oder kalt ist, dann nicht (lacht). Ich denke mir oft: Jetzt eine richtig schöne Einheit leiten, jetzt eine gute Ansprache halten. Das gebe ich gerne zu, alles andere wäre gelogen. Wenn ich auf der Tribüne sitze, verfolge ich Spiele und Einheiten aber weiter mit den Augen des Trainers.
Im Jahr 2011 waren Sie auf Schalke, traten plötzlich mit Burnout zurück. Der Job, den Sie heute ausfüllen, scheint noch anspruchsvoller. Wie passt das zusammen?
Ich habe Gott sei Dank im richtigen Moment die Reißleine gezogen. Es ging körperlich nicht mehr. Alle leistungsrelevanten Werte waren im Keller, praktisch bei null. Richtig ist, dass ich aktuell stundenmäßig sehr viel arbeite. Aber ich empfinde es oft nicht als Arbeit, so verrückt das klingt.
Was ist für Sie Arbeit?
Was mich am meisten stresst: Wenn ich für eine Sache nicht genügend Zeit habe und dadurch Zeitdruck entsteht. Wenn ich Dinge intensiv planen kann, macht mir das Spaß. Aktuell fühle ich mich so gut wie noch nie. Aber ich mache jetzt auch viel mehr Dinge, die mir persönlich gut tun. Auf meine Ernährung achten, mal in die Sauna gehen, das Handy ausschalten, ein Buch lesen. Ich war an einem Punkt, an dem nichts mehr ging.
Wie haben Sie das erstmals gemerkt?
Schon am Ende meiner Hoffenheimer Zeit waren rückblickend erste Signale da. Eine Auszeit alleine hätte wohl nicht gereicht. So lange du nicht etwas änderst, nützt das nichts. Dann kannst du ein Jahr Pause machen - und nach kurzer Zeit geht es wieder los. Heute sage ich: Toi, toi, toi (klopft auf Holz), dass ich viel bewusster lebe. Ich war ja bei früheren Stationen oft mehr als nur ein Cheftrainer. Ich war bei den kleineren Vereinen in Ulm und Reutlingen auch immer gleichzeitig noch Manager. Bei meiner ersten Station in Backnang habe ich meinen Spielern sogar noch die Tape-Verbände selbst gemacht.
Sehen Sie sich als Projektarbeiter?
Das Wort gefällt mir nicht besonders. Es klingt zu sehr nach Labor. Projekte werden nicht ins Herz geschlossen, das werden nur Dinge, die mit Emotionen zu tun haben. In der 4. Liga sind wir mit 2000 Fans gestartet, jetzt haben wir einen Schnitt von 26000. Wir sind ein Teil von Leipzig, wir sind in den Herzen angekommen. Das ist schön, aber auch Verpflichtung.
Wenn Leipzig kein Projekt ist - wie nennen Sie es?
Vor zweieinhalb Jahre gab es mit RB Leipzig und RB Salzburg zwei Vereine, die nichts gemeinsam hatten. Natürlich sind beide Klubs nach wie vor eigenständig, aber wir haben in gewissen Bereichen Synergien geschaffen: Scouting, Trainerausbildung, Ernährung, regenerative Maßnahmen, Auswertungen. Es macht riesigen Spaß. Ich habe aber immer gesagt: Perspektivisch kann ich nur noch für einen der beiden Klubs tätig sein.
Machen Sie Sport?
Es gibt Läufer, die beim Joggen Glückshormone ausschütten. Zu denen gehöre ich nicht. Ich jogge, weil ich weiß, dass es meinem Körper gut tut. Ich achte sehr auf Ernährung. Und ich habe zuletzt aus zwei Handys, die ich hatte, eins gemacht.
Hat der Fall Marco Reus gezeigt, dass Fußballer vielleicht wieder zu mehr Verantwortung erzogen werden müssen? Ihnen wird ja fast alles abgenommen.
Die grundsätzliche Frage ist auf jeden Fall berechtigt. Es gibt die Gefahr im Fußball, dass du in dieser Scheinwelt manchmal den Blick für die Realität verlierst, für die Dinge, die wirklich wichtig sind.
Wie meinen Sie das?
Es gibt auch Ärzte, die 15 Jahre lang operiert haben, obwohl sie nie eine Prüfung abgelegt haben. Das ist natürlich falsch! Es hat etwas mit Zocken zu tun.
Sie hatten den Rasen bereits angesprochen, der am Ende der Hinrunde in einem katastrophalen Zustand war. Ihr Spieler Terrence Boyd zog sich einen Kreuzband-riss zu. Sie sollen getobt haben.
Es hat mich einfach geärgert, denn das darf uns nicht passieren. Unser Anspruch ist, dass wir den besten Rasen der Liga haben. Außer uns spielt da ja schließlich niemand. Der Rasen muss sich über Wochen hinweg in einen so schlechten Zustand entwickelt haben, dass das doch einer mitbekommen haben muss. Mir geht es nicht darum, wer schuld ist. Es geht darum, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen. Für unsere Art des Fußballs brauchen wir Top-Bedingungen.
War der Platz schuld an der schweren Verletzung?
Das kann ja keiner beweisen. Fakt ist: Es ist ohne Gegnereinwirkung passiert. Er ist mit dem Standbein weggerutscht und hat sich dabei leider das Kreuzband gerissen.
Ist die Verletztenliste so lang, dass Sie sich grundsätzlich Gedanken machen müssen?
Nein, denn wir hatten ja nicht so viele Muskelverletzungen, wenn wir mal Ante Rebic außen vorlassen. Bei ihm liegt es sicher auch daran, dass er noch nicht die gleichen Grundlagen wie die anderen Spieler hatte, als wir ihn verpflichtet haben. Ansonsten hatten wir nicht so viele Muskel-, sondern schwerwiegendere Verletzungen wie die Kreuzbandrisse bei Terrence Boyd und Henrik Ernst. Oder wie bei Fabian Franke, der ja über Monate chronische Probleme mit seiner Achillessehne hatte.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihren früheren Vereinen?
Ja, gelegentlich telefoniere ich mit Martin Kind, dem Präsidenten von Hannover 96. An unseren Geburtstagen rufen wir uns immer gegenseitig an. Er hat am selben Tag Geburtstag wie mein jüngerer Sohn. Natürlich schaue ich am Wochenende immer zuerst: Was machen meine alten Klubs Stuttgart, Hannover, Schalke, Hoffenheim? In Ulm gibt's ja leider nicht mehr so viel zu gucken.
Interview: Marco Fenske, Frank Schober