Pointer hat geschrieben: ↑Mi Mai 27, 2020 1:58 am
Kein Euro an Umsatz- und/oder Gewinnausfall kann die Inkaufnahme einer höheren Sterblichkeitsrate rechtfertigen, egal ob moralisch oder aus wirtschaftliche Interessen.
https://www.airportzentrale.de/luftpost ... hen/60253/
Die Behörde berechnete damals den Wert eines Menschenlebens mit sechs Millionen Dollar. Die volkswirtschaftliche Ersparnis käme also im genannten Zeitraum auf 120 Millionen Dollar, zehnmal soviel, wie die veranschlagten Ausbildungskosten! Es gibt über hundert statistische Studien zum Wert eines Menschenlebens. Die Ergebnisse variieren zwischen fünf und neun Millionen. Dabei waren auch ganz lapidare Fragen zu beantworten: Wieviel Geld ist man durchschnittlich bereit, in einen Fahrradhelm zu investieren? Welche Einstellung hat der durchschnittliche Verkehrsteilnehmer zur Geschwindigkeit? Die Statistiker gehen davon aus, dass bei schnellerer Fahrweise mehr tödliche Unfälle passieren. Verkehrsbehörden müssen also abwägen, welche Höchstgeschwindigkeit allgemein oder für einen Streckenabschnitt festgesetzt werden. Auch hierbei spielt der statistische Wert eines Menschenlebens eine Rolle. Als die Höchstgeschwindigkeit auf amerikanischen Highways von 55 auf 65 Meilen angehoben wurde, stieg auch die Todesrate um ein Drittel. In der Gegenrechnung sparten die motorisierten Pendler jedoch 125.000 Stunden pro Todesopfer. Unterm Strich kostete der Kompromiss zwischen Zeitersparnis für die amerikanische Volkswirtschaft und erhöhtem Risiko für die Verkehrsteilnehmer 1,5 Millionen Dollar pro Menschenleben.
Man kann dieses Spiel sogar noch steigern: Die amerikanische Umweltbehörde veranschlagt derzeit 9,1 Millionen Dollar pro Menschenleben. Wieviel sind wir heute bereit zu investieren um unseren Planeten und Milliarden von Menschenleben in den nächsten 200 Jahren zu retten? Wieviel ist ein Menschenleben also wirklich wert?
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ ... 30638.html
Der amerikanische Ökonom Ike Brannon formuliert es drastisch: Für eine gute Politik sei es notwendig, den (statistischen) Wert eines Menschenlebens zu kennen. Er bezieht diesen Befund auf jene Regulierungsfelder, in denen es darum geht, Leben sicherer zu machen oder zu verlängern: in der Gesundheitspolitik, beim Bau bestimmter Verkehrsprojekte, im Umwelt- und Verbraucherschutz.
Für jeden Dollar, den der Staat ausgebe, müsse er dem Steuerzahler möglichst viel zurückgeben, sagt Brannon. Wenn eine Regulierung mehr koste, als sie ihr bringe, solle sie nicht in Angriff genommen werden.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/sozia ... 0aed574386
Die Rechnung, die für viele an ein Tabu rührt, kommt in manchen Lehrbüchern für Wirtschaftswissenschaftler ganz vorn. Gesundheitsökonomik, zweites Kapitel, gleich nach der Einleitung: "Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit" lautet die Überschrift.
Einer der Verfasser ist Friedrich Breyer, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Konstanz. Es gebe zwar kein Preisschild für die Rettung oder Verlängerung von Menschenleben, sagt Breyer.
In der aktuellen Lage sollten sich Gesellschaft und Politik aber bewusst sein, "wie viel wir eigentlich in anderen Bereichen bereit sind, für die Rettung eines Menschenlebens auszugeben". Wenn es effizient und gerecht zugehen solle, dann müsse zwischen Leben rettenden Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
Friedrich Breyer ist der Meinung, dass "Politiker sich scheuen, den Bürgern die Wahrheit zu sagen: Das Budget für das Gesundheitssystem ist begrenzt". Stattdessen werde die Fiktion aufrechterhalten, Kosten spielten keine Rolle. In der Folge habe die Öffentlichkeit deshalb auch heute kaum eine Vorstellung, was im üblichen Rahmen getan werde für die Verlängerung eines Lebens.
Die Szenarien der volkswirtschaftlichen Schäden wiederum kommen auch noch kalt und abstrakt daher. Sie werden ausgedrückt in verlorenen Prozenten bei Wachstum und Wirtschaftskraft. Das lässt sie wie Luxus erscheinen, wie verschmerzbare Verluste.
Die Prozente sind aber auch ein Maß für den Grad der gesellschaftlichen Erschütterung, die durch den Lockdown ausgelöst wird: Für Selbstständige und Kleinunternehmer, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Für Millionen Beschäftige, die ihre Arbeit verlieren könnten. Für Familien, die in Not und Verzweiflung geraten. Man weiß, dass Kinderarmut die Lebenschancen von Kindern langfristig mindert. Und es gibt auch Hinweise, dass in schweren Wirtschaftskrisen die Zahl der Selbstmorde steigt.
Es fehlt auch noch immer ein breites gemeinsames Verständnis davon, wer eigentlich Profiteur der Maßnahmen ist: Der Bochumer Rechtsprofessor Stefan Huster warnt so in einem Beitrag für die Debattenplattform "Verfassungsblog", die bislang hohe Zustimmung der Bürger für Ladenschließungen, Ausgangssperren und Kontaktverbote werde schwinden, sobald klar werde, "dass die allermeisten Versterbenden hochbetagt und mit allerlei Vorerkrankungen versehen sind und bei einer Grippe-Epidemie auch 'vorzeitig' versterben würden, ohne dass jemand daran dächte, das ganze Land herunterzufahren".
Die ökonomischen Modelle zur Abwägung von Geld und Lebensjahren erwecken den Eindruck, als gäbe es eine einfache und klare Antwort auf die Frage, was jetzt richtig ist. Doch diese Abkürzung gibt es nicht. "Wir brauchen eine gemeinsame Diskussion darüber", sagt die Philosophin Lübbe. Einen Klärungsprozess zwischen den Vertretern verschiedener Fachgebiete. Was als Politikberatung gedacht sei, könnte sonst in den Ohren der Politiker zur schrillen Kakophonie werden.
Was man vermeiden müsse, sei eine Situation, in der "ein Teil der Gesellschaft zu dem Schluss kommt, dass ein anderer über ihn verfügt", warnt Lübbe. Das erschüttere das Grundvertrauen in die Gesellschaft und "führt zu Spaltungen, die so schnell nicht mehr zu heilen sein werden".
Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen - vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir. (Mark Twain)