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Marcel Schäfer im exklusiven RB-Fans.de-Interview

Marcel Schäfer im exklusiven RB-Fans.de-Interview

Neue Stadt. Neuer Club. Klare Ziele. Marcel Schäfer spricht über seinen Neustart, die besondere Atmosphäre in Leipzig und warum RB wieder „back to the roots“ geht.

RB-Fans.de: Wenn du drei Wörter wählen müsstest, um dein erstes Jahr in Leipzig zu beschreiben – welche wären das?

Marcel Schäfer: Interessant, herausfordernd. Und über allem steht natürlich der Neustart.


RB-Fans.de: Du hast ja viele Jahre in Wolfsburg gearbeitet, einer eher ruhigen Fußballstadt. Leipzig wirkt deutlich jünger, dynamischer und lebendiger – wie hast du die Stadt und ihre Menschen bisher erlebt?

Marcel Schäfer: Vom ersten Tag an war ich sehr beeindruckt – sowohl von der Stadt als auch von den Menschen. Als Fußballer sieht man oft nur Hotels, Flughäfen und Stadien. Leipzig habe ich aber schnell als sehr lebenswerte Stadt mit schönen Altbauten, viel Grün und kurzen Wegen kennengelernt. Ich wohne im Waldstraßenviertel – ideal zwischen Innenstadt, Stadion und Trainingsgelände gelegen. Ich bin viel zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs, so wie es sich als Leipziger gehört. Und dann sind da die Menschen: Offen, direkt, herzlich. Dieses Gefühl, willkommen zu sein, war sofort da. Ich bin hier wirklich angekommen.


RB-Fans.de: Das ist nicht selbstverständlich, gerade nach einem schwierigen Erlebnis wie dem Erstrunden-Pokal-Aus 2011, als du mit Wolfsburg keine guten Erinnerungen in Leipzig gesammelt hast.

Marcel Schäfer: Das war schon ein einschneidendes Erlebnis. Wir sind damals gegen einen sehr ambitionierten Regionalligsten ausgeschieden, das war eine große Enttäuschung für einen Bundesligisten. Persönlich hat das Spiel auch Spuren hinterlassen, weil ich danach als Kapitän des VfL abgesetzt wurde.


RB-Fans.de: Bei Deiner Vorstellung in Leipzig waren einige Fans skeptisch, weil in Wolfsburg trotz guter Voraussetzungen nicht immer internationale Plätze erreicht wurden. Was unterscheidet Leipzig von Wolfsburg, und was sind die entscheidenden Faktoren für den aktuellen Aufschwung?

Marcel Schäfer: Ich habe in Wolfsburg 2018 als Sportdirektor begonnen. Die Aufgabe war, den Club nach zwei Jahren der Relegation wirtschaftlich zu konsolidieren, Personalkosten drastisch zu senken und zugleich sportlich zu stabilisieren. Trotzdem sind wir 6., 7. und 4. geworden. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir diese Leistungen anschließend leider nicht bestätigen konnten.

Leipzig hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, letzte Saison wurde die Leidensfähigkeit dann erstmals auf die Probe gestellt. Aus meiner Sicht wusste der Club als ein Bundesligist aber auch noch gar nicht so richtig, was „leiden“ bedeutet, weil man von der 5. Liga bis in die Champions League durchmarschiert ist, es ging immer nur nach oben. Aber dieses Schicksal, dass es eine Saison gibt, die nicht so läuft wie sie geplant war, ereilt jeden Club irgendwann.


RB-Fans.de: Was hat Dich damals überzeugt, nach Leipzig zu kommen? Die sportliche enttäuschende Saison und hoher Kostendruck bei den Personalien waren ähnliche Voraussetzungen wie in Wolfsburg.

Marcel Schäfer: 2021 gab es schon mal einen Austausch, aber der ist dann nicht in einem Wechsel gemündet. Der Moment kam, als Oliver und Mario sich im Frühjahr 2024 gemeldet haben. Die Philosophie und der Weg des Clubs sind klar und passen total zu mir: Junge Menschen begleiten, sie entwickeln, ihnen den nächsten Schritt ermöglichen – und das gilt nicht nur für die Spieler auf dem Feld, sondern auch für die Menschen außerhalb des Platzes. Das macht mir unglaublich viel Spaß, diesen Weg als Geschäftsführer mitzugestalten. Ich bin sehr dankbar und froh über das Vertrauen, das ich bekommen habe. Jetzt bin ich knapp ein Jahr hier, und der Sommer war quasi unsere erste große Transferperiode, in der wir in der Clubführung wirklich wieder „back to the roots“ gehen wollten. Ich glaube, das haben wir größtenteils umgesetzt und dabei auch deutlich die Kosten reduziert.

Wir haben aber nicht nur sportliche, sondern auch große wirtschaftliche Ziele. Das muss jeder, der ein Unternehmen führt oder irgendwo angestellt ist, immer berücksichtigen. Auch wir sind ein Club, der nach wie vor auf Transfererlöse angewiesen ist, das liegt auf der Hand. Wir müssen wirtschaftlich sinnvoll und vernünftig agieren.


RB-Fans.de: Du hast beim Umbruch auf Charakter und Persönlichkeit gesetzt. Wie zufrieden bist du aktuell mit dem Kader?

Marcel Schäfer: Zufriedenheit ist für mich immer ein schwieriges Wort. Es bedeutet Stillstand oder Rückschritt. Ich bin der Meinung: Es gibt immer Dinge, die man verbessern kann.

Das Profil von RB Leipzig ist klar definiert: jung, hungrig, entwicklungsfähig. Das ist authentisch und entspricht dem, was Red Bull zu einer Weltmarke und den Club zu einer Champions League-Mannschaft gemacht hat. Die Historie des Clubs zeigt, dass man konsequent mit jungen Menschen arbeitet und sie über einen Zeitraum begleitet und entwickelt. Wir verfügen über eine hervorragende Infrastruktur und ein starkes Team um die Mannschaft herum. Entwicklung und harte Arbeit stehen dabei täglich im Mittelpunkt. Das ist fest in der DNA des Clubs verankert und muss immer wieder verinnerlicht werden, um erfolgreich zu bleiben. Wir wollen immer das Maximum erreichen – auf und neben dem Platz.

Der ganze Club ist unfassbar ambitioniert und das imponiert mir sehr. Wir haben im Sommer viel geschafft, aber nicht alles, was wir uns vorgenommen haben, umsetzen können. Trotzdem glaube ich, dass wir eine gutes Fundamenet gelegt haben für die kommenden Jahre, um wieder angreifen zu können.


RB-Fans.de: Was hat in der letzten Saison gefehlt? War es wirklich nur der Charakter?

Marcel Schäfer:  Es gab nicht den einen Schlüsselfaktor, es haben viele Faktoren dafür gesorgt, dass wir unsere Ziele nicht erreicht haben. Viele Spieler waren das erste Mal bei einem großen Turnier, hatten wenig Urlaub, kaum Vorbereitung, das hat sich auf die Fitness ausgewirkt, dann kamen die Verletzungen hinzu. Dadurch fehlte die Konstanz in der Formation und im System. Dies in einer Saison zu korrigieren, in der man international und damit alle drei Tage spielt, ist extrem schwer. Es war aber nicht immer nur Pech und Unglück, sondern wir haben auch unseren Teil dazu beigetragen. Die Dinge, die wir uns vorgenommen haben, haben nicht wirklich funktioniert, die Ziele gerieten aus dem Blickfeld, dadurch stieg auch die Unzufriedenheit. Die Saison war ein Teufelskreis, aus dem wir trotz vieler Versuche nicht herausgekommen sind.

Aber: Wir hatten auch letzte Saison einen guten Kader, gute Spieler und auch gute Charaktere. Wir haben es aber als Gruppe nicht geschafft, alle unsere Ziele auf einen Nenner zu bekommen und immer an einem Strang zu ziehen.

Im Sommer haben wir versucht, das zu korrigieren – und das zahlt sich zumindest bis jetzt aus. Wir haben Charaktere dazugeholt, eine homogene Truppe geschaffen, die bislang in eine Richtung marschiert.


RB-Fans.de: Ein Name, der gerade immer wieder Thema bei den Fans ist, ist Timo Werner. Wie siehst Du seine Situation?

Marcel Schäfer: Ich verstehe, dass Timo für das Umfeld ein spannendes Thema ist. Beeindruckend war, als er gegen Köln zum Aufwärmen hinter das Tor gegangen ist – und jeder in der Red Bull Arena gespürt hat, wie sehr die Fans ihn schätzen. Das ist nicht selbstverständlich und zeigt, dass Leistungen und Verdienste hier honoriert werden. Auch wenn er zweimal ausgeliehen war und jetzt zurückgekommen ist, merkt man, dass die Menschen in Leipzig ihn noch immer sehr schätzen.

Wir haben im Sommer mit Timo offene und ehrliche Gespräche geführt, wie wir seine Rolle und die Perspektive auf Spielzeit einschätzen – wie mit jedem anderen Spieler auch. Wie bereits erwähnt, möchten wir wieder auf Spieler setzen, die jung, hungrig und entwicklungsfähig sind, die mit uns gemeinsam die Fußballwelt erobern wollen, so wie es Leipzig früher immer ausgezeichnet hat. Timo passt auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz in dieses Profil, aber er verhält sich sehr professionell und zeigt ordentliche Leistungen im Training – auch wenn andere Spieler auf seiner Position die Nase vorn haben.


RB-Fans.de: Heißt das, es gibt für Timo Werner wenig Optionen, in Leipzig über das Jahr hinaus zu bleiben?

Marcel Schäfer: Bei uns gilt das Leistungsprinzip. Am Ende zählt, wer sich durchsetzt. Wir führen offene und ehrliche Gespräche, respektieren Verträge und Entscheidungen. Es gibt bei uns auch keine Trainingsgruppe 2, wir gehen mit jedem respektvoll um. Wenn jemand bessere Leistungen bringt als alle anderen auf seiner Position, dann spielt er – das gilt für Timo wie für jeden anderen. Ich kenne keinen Trainer, der den besten Spieler auf der Bank lässt.

Marcel Schäfer im Interview

RB-Fans.de: Du warst selbst viele Jahre Spieler. Wie hat sich dein Blick auf den Fußball verändert, seit du nun als Sportdirektor arbeitest?

Marcel Schäfer: Der Fußball ist viel datengetriebener geworden. Früher hat man Spieler live entdeckt, heute laufen viele Prozesse über Video, Scouting-Tools und Datenanalyse. Das Thema KI wird unsere Arbeit, wie in allen anderen Bereichen auch, massiv verändern. Das Umfeld der Teams sieht auch anders aus – größere Staffs, spezialisierte Experten. Wir versuchen, in allen Bereichen das Maximum herauszuholen. Der Körper der Spieler ist unser und des Spielers Kapital – entsprechend investieren wir in Betreuung, Medizin, Ernährung und mentale Unterstützung.


RB-Fans.de: Marktwerte sind bei Fans oft ein großes Thema. Diomande hat einen Marktwert von ca. 1,5 Mio Euro gehabt, du hast ihn für 20 Mio geholt. Ist das Spielerei der Fans oder orientierst Du Dich auch daran?

Marcel Schäfer Genau die gleiche Frage habe ich auch von einem meiner Kinder bekommen. (lacht) Meine Antwort war: Weil wir zu 100 Prozent vom Spieler und von seinem Profil überzeugt sind. Er bringt die notwendige Intensität mit und ein unglaubliches Potenzial. Trotzdem hat Yan aus unserer Sicht noch nicht all das gezeigt, was wir in ihm sehen und was noch in ihm steckt. Finale Entscheidungen, Torabschluss – da hat er noch viel Luft nach oben und kann ein unfassbarer Spieler werden.

Generell werden Marktwerte aber von außen festgelegt und sind sicher für Diskussionen unter Fans oder in den Medien interessant. Intern haben wir uns noch nie darüber unterhalten, welchen Marktwert ein Spieler zum Beispiel auf transfermarkt.de hat. Für uns zählt in erster Linie die aktuelle Leistungsfähigkeit, das Potenzial und der Charakter eines Spielers. Der Markt, die Konkurrenz, das Alter und unser Wille, einen Spieler unbedingt zu verpflichten, bestimmen am Ende den Preis. Wir investieren, wenn wir überzeugt sind, dass der Spieler sportlich und wirtschaftlich einen Mehrwert bringt.


RB-Fans.de: Wie gelingt der Spagat zwischen Talentförderung und dem hohen Ergebnisdruck in Leipzig?

Marcel Schäfer: RB Leipzig ist sehr ambitioniert und Druck gehört dazu – auch wenn ich davon überzeugt bin, dass man ihn sich immer selbst macht. Wir möchten Titel gewinnen, wir wollen erfolgreich sein. Aber wir setzen auf unseren Weg: junge, hungrige Spieler entwickeln und gleichzeitig Ergebnisse liefern.

Zudem erwarte ich in jedem Spiel, dass eine Mannschaft auf dem Platz steht, die füreinander kämpft und einsteht, die einen klaren Plan verfolgt und an einem Strang zieht. Da habe ich nach den ersten sechs Spielen ein gutes Gefühl. Selbst nach dem Rückschlag am ersten Spieltag, wo gefühlt alle kurz in Schockstarre verfallen sind. Aber vielleicht war das ein Dämpfer zur richtigen Zeit, der uns alle noch einmal zusammengeschweißt hat.


RB-Fans.de: Schockstarre trifft es ganz gut. Wie konnte das am ersten Spieltag passieren?

Marcel Schäfer: Die Bayern waren an diesem Tag gnadenlos, eiskalt und effizient. Wir haben es aber auch nicht gut gemacht. Dafür war die Reaktion nach dem Spiel sehr gut. Die Veränderungen, die wir im Sommer angeschoben haben, brauchen natürlich Zeit und Geduld. Erfolgserlebnisse helfen dabei aber, weil sie Auftrieb und Selbstbewusstsein geben und den Glauben an unseren Weg stärken.


RB-Fans.de: Wenn du nach vorn schaust – wie wird sich das Transfergeschäft deiner Meinung nach in den nächsten fünf Jahren verändern? Vor allem in Bezug auf das viele Geld, welches in England und in Saudi-Arabien im Umlauf ist?

Marcel Schäfer: Ich glaube, dass wir auch profitieren, in Form von Ablösen zum Beispiel, welche wir natürlich wieder clever investieren müssen. Wir haben schließlich sportliche und wirtschaftliche Aufgaben, die es zu erfüllen gilt.

Die Engländer haben eine andere finanzielle Power und diese Finanzkraft werden wir nicht verändern können. Wir müssen schauen, dass wir in Deutschland die Einnahmestränge verändern, unsere Ausbildung in den Akademien verbessern und deutlich mehr junge Spieler in den Reihen von RB Leipzig zum Einsatz bekommen. Wenn wir das schaffen, sind wir gut gewappnet.

Dennoch ist es natürlich ein großer Vorteil, wenn ein englischer Aufsteiger zum Beispiel rund 150 Millionen Euro in den Transfermarkt investieren kann. Bedeutet das aber, dass wir in Deutschland keine internationalen Erfolge mehr feiern werden? Nein! Die Bayern sind nach wie vor ein weltweites Top-Team, Dortmund sorgt immer wieder international für Furore, Frankfurt hat die Europa League gewonnen und auch Leverkusen stand dort im Finale. Wir als deutsche Spitzenclubs sind nach wie vor in der Lage, den anderen Teams international Paroli zu bieten. Darauf können wir stolz sein und müssen immer wieder das Beste aus den jeweiligen Situationen machen.


RB-Fans.de: Wie beurteilst Du die Entwicklung der Frauenmannschaft von RB Leipzig? Der Saisonstart war für die Ambitionen des Klubs sehr enttäuschend.

Marcel Schäfer: Das ist nicht der Start, den wir uns gerne gewünscht hätten. Da sind wir ehrlich zu uns selbst. Trotzdem muss man sagen, dass wir auch schon gegen Bayern und Frankfurt gespielt haben. Die wollten wir ärgern, das haben wir leider nicht geschafft. Unglücklich war die Niederlage zu Hause gegen Hamburg. Die drei Punkte, die uns dadurch fehlen, tun natürlich weh. Ansonsten wäre das ein ordentlicher Start in die Bundesliga gewesen.

Grundsätzlich sind wir uns bewusst, dass München, Wolfsburg und Frankfurt im Moment ein ganzes Stück weiter sind, weil sie sportlich und wirtschaftlich schon auf einem anderen Niveau arbeiten. Das muss man ganz klar sagen. Unser Ziel ist es, diese Lücke Schritt für Schritt zu schließen. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit, Geduld und kontinuierliche Arbeit. Wir wollen die Voraussetzungen schaffen, damit wir auch im Frauenfußball langfristig erfolgreich sind und die Spielerinnen sich weiterentwickeln können.


RB-Fans.de: Wie wichtig ist dir die Nähe zu den Fans im Alltag – gehst du bewusst in Austausch, oder ist das eher etwas, das sich ergibt?

Marcel Schäfer: Natürlich versuche ich in den Austausch mit den Fans zu kommen, sei es bei öffentlichen Einheiten, den Spielen, Veranstaltungen oder auch mal im Alltag. Für uns ist es wichtig zu wissen, welche Themen die Fans beschäftigen und auch welche Sorgen und Ideen sie haben. Ich erlebe hier in Leipzig eine große Offenheit, viele ehrliche Begegnungen. Auch nach einer schwierigen Saison war die Unterstützung überall spürbar, selbst nach Niederlagen im eigenen Stadion – das ist nicht selbstverständlich. Da kann man den Fans nur ein großes Kompliment machen, dass sie Geduld mit uns hatten und Verständnis aufgebracht haben.


RB-Fans.de: Was wünschst du dir, dass die Leipziger Fans denken, wenn sie deinen Namen hören?

Marcel Schäfer: Dass ich jemand bin, der sich zu 100 Prozent mit dem Club und der Stadt identifiziert – und der gemeinsam mit allen Mitarbeitenden bei RB Leipzig und dem Umfeld akribisch, ehrgeizig und detailversessen daran arbeitet, RB Leipzig zurück auf die Erfolgsspur zu bringen. Damit wir alle gemeinsam wieder erfolgreichen und attraktiven Fussball sehen, der die Werte des Clubs repräsentiert.

Vielen Dank für das Interview, Marcel!

Rojiblanco & Flo