HOFFEN, ZITTERN, FEIERN - EGAL AN WELCHEM ORT

Leipzig - (04.06.2013) Unsere Moderatoren erlebten das Rückspiel an verschiedenen Orten. Ob im Fanblock, der Haupttribüne, beim Public-Viewing oder zu Hause auf der Couch. Jeder machte andere Erfahrungen und ist so in der Lage, seine eigene Geschichte zu erzählen. Unser Autor Rojiblanco beginnt.


Je näher das Spiel rückte, desto unruhiger wurde ich.
Bereits am Vorabend spielten sich in meinem Kopf verschiedene Szenarien ab und ich
kam zum Schluss: Selbst wenn Lotte erst in der 89. Minute das 1:0 schießt, wird
es für uns noch einmal eng. Die Dynamik, die ein solches Tor auslösen kann,
dürfte jedem Fußballer hinlänglich bekannt sein. Von daher war das 2:0
Hinspiel-Ergebnis doch nicht so beruhigend wie am vorherigen Mittwoch
angenommen.
Nach einer unruhigen Nacht starteten wir um halb Neun Richtung A14. Zwischen
Halle und Magdeburg überholten wir die zwei Fanbusse und einige weitere PKWs, welche
durch verschiedene Fanutensilien an der Heckscheibe deutlich als RB-Fans zu
erkennen waren. Ein kurzes Hupen, Winken, Schal-Zeigen und weiter ging‘s
Richtung Lotte. Dort angekommen, sahen wir vor dem Gästeblock bereits hunderte
Leipziger in freudiger Erwartung auf das Spiel.
Unser Platz war auf der Haupttribüne. Erstaunlicherweise saßen dort ebenfalls einige RB-Fans und das waren keineswegs alles nur Spielerfrauen. Bereits vor dem Spiel funktionierte der erste Wechselgesang zwischen Gegengerade und Haupttribüne. Ein Vorgeschmack auf die deutliche Dominanz der RB-Fans in der connecM-Arena. Die Partie begann hitzig, die Lotter Bank sprang bei jedem Foul wie von der Tarantel gestochen auf und forderte mindestens eine Gelbe Karte, wenn nicht sogar Rot. Zehn Minuten waren gespielt und die Kollegen auf der Haupttribüne waren sich einig, dass dieses Rückspiel nicht elf gegen elf enden würde. Nach einem Standardtor fiel die frühe Führung für die Gastgeber durch den bärenstarken Kapitän Willers. Nunja, das konnte heute noch heiter werden. Erst kurz vor der Pause beruhigte sich ein wenig mein Puls, weil ich spürte, dass unsere Mannschaft besser in die Partie fand. Trotzdem ging es mit einem 0:1 in die Halbzeit. Lotte war stärker, aggressiver und spielerisch überlegen. Irritierende und bangende Blicke bei den RB-Fans auf der Haupttribüne. Auch in der zweiten Halbzeit änderte sich nur wenig am Spielverlauf, wobei unsere Defensive nun weniger zuließ. Die letzten Minuten: Jeder sehnte den Abpfiff herbei, unsere Anhängerschaft war bereits in bester Feierlaune. In einem missglückten Torschuss hielt Schmidt den Fuß rein und das Hinspiel-Ergebnis war egalisiert. Blick zum Assistent – die Fahne blieb unten.
Schockstarre. Absolute Schockstarre. Nur selten in meinem Leben war ich derartig konsterniert wie in diesem Augenblick. Wie konnte das passieren? Wieso ließ der Schiedsrichter so lange nachspielen? Das durfte doch alles nicht wahr sein. Es war nicht zu fassen, nicht zu glauben. Vermutlich hätte ich geheult, wenn nicht diese Leere in mir gewesen wäre. Ich nahm mein Umfeld gar nicht mehr wahr. Ganz ehrlich: In diesem Moment hätte ich keinen Cent mehr auf unsere Mannschaft gewettet. Der psychologische Vorteil war auf Seiten der Westfalen, Zorniger hatte zuletzt nur defensiv gewechselt und unsere Mannschaft wirkte müde. Das war’s. Zu allem Überfluss tauchte plötzlich neben mir ein stark alkoholisierter Mann auf, der mich vollpöbelte und voraussagte, dass RB Leipzig niemals aufsteigen würde. Trotz der sch*** Millionen. Niemals! Diese Aussage weckte plötzlich in mir den Kampfgeist. Ich antwortete, dass wir uns in 30 Minuten zur Aufstiegsfeier von Leipzig auf dem Rasen treffen werden. Er lachte kurz, danach war er ruhig und verschwand.
Die Verlängerung. Zittern. Jetzt bloß kein weiteres Gegentor kassieren. Dann kam Morys. Ausgerechnet jener Mann, den ich vor ein paar Wochen noch als Fehleinkauf abschrieb. Asche über mein Haupt. Er setzte sich gegen ein drei Spieler durch und schoss das erlösende Auswärtstor. Der Ball war abgefälscht und letztendlich ein Eigentor? War mir sowas von egal. Der Jubel kannte keine Grenzen. Ich fiel über meinen benachbarten Sitzpartner her, umarmte ihn herzlich und schrie alle Anspannung aus mir heraus. Endlich! Vierte Liga war schööön, Zeit für uns zu geh‘n! Es war ein unbeschreiblicher Moment der Glückseligkeit. Jetzt wirkte Lotte K.O. und wir waren wieder psychologisch im Vorteil. Die 3. Liga war wieder so greifbar, so nah. Schulz wurde später von Buchholz gefoult, den fälligen Elfmeter verwandelte unser Stürmer souverän. Die Entscheidung. Aufstieg in Liga 3. Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!
Der anschließende Jubel beim Abpfiff fiel allerdings bei mir etwas verhalten aus. Zu nervenaufreibend war die Partie, zu viel Kraft hatte ich während der 120 Minuten ob des Wechselbads der Gefühle lassen. Ich schlich über den Platz wie einst Franz Beckenbauer, wollte einfach nur den Moment genießen und sah Spielern, Fans und Trainerstab genüsslich beim Jubeln zu. Es war der bisher schönste Augenblick in meiner Zeit bei RB Leipzig. Den Mann, der uns den Untergang vor der Verlängerung prophezeite, tauchte natürlich nicht wieder auf. Ein weiterer Sieg. Ich empfand an diesem Nachmittag große Genugtuung und viel Stolz in Bezug auf das Erreichte. Zentnerschwere Steine purzelten allmählich auf den Boden, die Schultern wurden wieder leicht. Der Druck und die Anspannung wichen.
Auf der Rückfahrt trafen wir merkwürdigerweise nur dieselben Autofahrer, die wir schon auf der Hinfahrt sahen. Und das bei ca. 1400 Fans, die mit dem PKW angereist waren. Sachen gibt’s. So richtig konnten wir das Erlebte nicht glauben bzw. Einordnen. Kommende Saison 3. Liga. Hallo?? Überschwängliche Freude, Jubelschreibe und Partymusik wären jetzt im Auto angebracht gewesen. Vielleicht morgen früh, wenn ich aufwachen würde und den gestrigen Tag verarbeitet hätte.
Hinter Magdeburg fing es an zu Regnen. Typisch. Wir wechselten den Radiosender und hörten die Schreckensmeldung bzgl. des Hochwassers. Zu Hause angekommen, war kein Platz mehr für die 3. Liga. Freunde und Bekannte litten unter den Pegelständen der Mulde, der Fußball rückte in den Hintergrund. Bis heute. Wobei diese Zeilen der erste Schritt sind, das Erlebte endlich zu verarbeiten und sich auf die 3. Liga zu freuen.
Rojiblanco
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