BALL ODER NICHT BALL, DAS IST HIER DIE FRAGE!

Leipzig - (16.01.2014) Das "Gegenpressing ist der beste Spielmacher", sagte Jürgen Klopp im Sommer 2012. Eine Taktik, die auch unter Zorniger Teil der Leipziger Spielanlage ist und fast die Hälfte unserer Tore ermöglichte.


Was hatte sich Zorniger selbst unter die Weihnachtstanne gewichtelt? Eine DVD mit allen Toren und auch Gegentoren der erweiterten Hinrunde der Leipziger, um daran eine winterliche Analyse der spielentscheidenden Momente zu unternehmen. Diesem Unternehmen schließe ich mich gern an und möchte im Folgenden die Tore/Gegentore der Hinrunde besonders unter dem Aspekt des vielgelobten Gegenpressings unter die Lupe nehmen.
Grob gesagt resultieren die Hälfte aller Tore (16/34) wie Gegentore (12/23) RB Leipzigs aus dem Gegenpressing. Die Aussage Klopps, dass es sich um den "besten Spielmacher" handelt, hat also auch in der 3. Liga ihre Berechtigung.
Die güldene 8-Sekunden-Regel
Die Aussage von Fussballguru Rangnick, dass der Ball möglichst nach acht Sekunden im gegnerischen Netz zappeln sollte, kann auch auf die aktuelle Spielklasse angewandt werden. Nimmt man die beiden Gegenpressingtore mit dem längsten folgenden Spielaufbau aus der Rechnung, so genügten jeweils 8,3 Sekunden, um das Spielgerät in den Kasten des Gegners zu befördern. Bei den Toren würde hier das 2:0 in Heidenheim aus dem Rahmen fallen, wo nach Röttgers Ballgewinn am eigenen Strafraum 24 kombinatorisch höchst ansprechende Sekunden verstrichen, ehe Kaiser den Ball ins Netz schoss. Bei den Gegentoren wäre dies das 1:0 von Chemnitz, bei dem, nach einem langen Ball von Jung, Daniel Frahn nicht zum Kopfball hochstieg und die Südwestsachen nach 17 Sekunden vom eigenen Strafraum ausgehend den Ball hinter Coltorti versenkten. Behält man beide in der Rechnung, würden immer noch recht ähnliche 9,3 vs. 9 Sekunden zu Buche stehen. Natürlich ein Mittelwert, in den Ballgewinne wie der von Poulsen gegen Erfurt (eine Sekunde bis zum Tor) ebenso eingerechnet werden, aber trotzdem ist obige These hier an 28 Drittligatoren exemplarisch recht gut bewiesen.
Die Torarten
Will man anhand der Tore eine Akklimatisierungsphase RBLs ausmachen, dann ging selbige bis zum 10. Spieltag, danach gab es in Sachen Tore wie auch Gegentore einen messbaren Bruch. Nach dem 10. Spieltag erzielte RB nur ein Tor (das 1:0 gegen Unterhaching), an dessen Entstehung kein Ballgewinn oder Standard (Freistoß/Einwurf) beteiligt war und auch die Gegner gingen dazu über, hauptsächlich aus Ballgewinnen zu punkten. Ausnahmen hier das 2:2 Unterhachings nach Einwurf, ein Mittelinienfreistoß vor dem 2:0 des CFC und der geschenkte Elfer für Halle. Insgesamt scheinen die Zeiten des gepflegten Spielaufbaus aus der Abwehr heraus also vorbei, auch wenn Teile der Standards sehr indirekt für die Tore verantwortlich zeichnen und Gegenpressingtore wie gegen Heidenheim natürlich auch als herausgespieltes Tor zählen können. Im Detail: 34 Tore: davon 16 Gegenpressing, 12 aus Standards (4 davon eher indirekt) und 6 aus dem Spiel heraus. 23 Gegentore: davon 12 Gegenpressing, 6 aus Standards und 5 aus dem Spiel heraus (das letzte im Prinzip das Eigentor von Jung in Osnabrück).
Die Balljäger
Wie zuletzt an der Verpflichtung von Demme zu beobachten, legt Zorniger sehr viel Wert auf seine "Balljäger". So scheint es zunächst etwas überraschend, dass bei den Ballgewinnen RBLs die typischen Balljäger unterrepräsentiert sind. Dies mag besonders daran liegen, dass die überwiegende Mehrzahl der Ballgewinne aus Fehlpässen (weiten wie auch kurzen) resultiert und nicht aus einem direkten Zweikampf (hier wäre das 1:0 gegen den HFC im Rückspiel eher die Ausnahme, wo Luge und Frahn ihren Gegenspieler im Zweikampf zum Fehler zwingen). Bei gegnerischen Kurzfehlpässen ist meist ein zweiter Pressingspieler aktiv involviert. So z.B. beim 1:0 von Frahn gegen Heidenheim, bei dem Kammlott den gegnerischen Passgeber recht gut attackiert, auch wenn der Fehlpass ihm trotzdem so nicht passieren darf. Eine Elf der besten Gegenpressingspieler würde wie folgt aussehen (in Klammern die Anzahl der erfolgreichen Pressingaktionen vor Toren, gewertet direkte Ballgewinne und hoher Druck auf den Fehlpassgeber): Coltorti – Müller (1), Hoheneder (1), Franke (1), Jung (3) – Ernst (2) – Kaiser (2), Röttger (2) – Luge (1), Frahn (3), Poulsen (3) – nicht berücksichtigt Schulz (1), Kammlott (1). Auffällig hier sicher die hohe Anzahl von Jungs Beteiligungen, auch gemessen an seiner Spielzeit, das Fehlen von Kimmich, sowie die schlechtere linke Offensivseite, wobei hier auch die ständigen Wechsel keine Konstanz ermöglichten. Obwohl man nun auf die Idee kommen könnte, dass sich die Ballgewinne oft in der Sturmspitze ereignen (nach Mannschaftsteil Abwehr 6, Mittelfeld 7, Sturm 8), so ist die Zone des Gegenpressings bei RB das Mittelfelddrittel.
Die "Gefahrenzonen"
Wenn es im Spiel unserer Leipziger eine Zone gibt, in der die Gegner nicht die Kontrolle verlieren wollen, dann ist dies das Mittelfeld. Die gute Zusammenarbeit des Teams garantiert hier eine hohe Dominanz: hoch aufrückende Abwehrspieler und Ernst ermöglichen Ballgewinne via Kopf in erster oder zweiter Instanz, quirlige Balljäger laufen die Gegner an und Stürmer attakieren je nach Spielsituation ebenfalls die Gegner, versuchen hohe Bälle abzufangen oder lauern auf das schnelle Umschaltspiel des Mittelfelds. 10 von 16 Ballgewinnen vor einem Tor ereignen sich hier, während es beim Gegner nur 4 von 12 sind. Ebenfalls bemerkenswert, Ballgewinne auf den Außenbahnen sind die absolute Ausnahme. Während die Gegner nur zwischen den Außenseiten der Strafraumkanten die Ballgewinne erzielten, konnte bei RBL zumindest zwei Mal auf der rechten Außenbahn erfolgreich agiert werden (zuletzt von Luge und Frahn gegen Halle). Hier ist es zwar leichter Überzahlsituationen zu schaffen, diese können aber für den Rest des Teams fatal sein (Stichwort freie Räume) und dem Gegner ist es leicht möglich, einen Ballverlust im Spiel durch einen Ball ins Aus zu umgehen.
Auf der gegnerischen Seite wirkt sich das offensive Spiel des Teams negativ auf die Zone vor dem Tor aus. Vor dem eigenen Kasten werden Fehler kaum verziehen und führen im Schnitt leichter zu Gegentoren als bei unseren Gegnern. Während hier schon fünf Ballgewinne am oder um den Strafraum zu Gegentoren führten, war dies bei RB nur dreimal der Fall (Poulsen gegen Erfurt und Kiel sowie Frahn gegen Heidenheim). In der folgenden Grafik sind die Ballgewinne (blau) den Ballverlusten (rot) gegenübergestellt. Das Tor von RB befindet sich links.
Die Ballverluste
Wo Ballgewinne sind, gibt es fast zwangsläufig auch Ballverluste. In der Offensive ist dies verbunden mit der Frage nach dem "zweiten Ball", die mit der Verpflichtung von Demme vielleicht sogar noch an Bedeutung gewinnen könnte, war doch Ernsts Kopfballstärke ("erster Ball") in der Hinrunde durchaus ein gewichtiges Pfund. In 12 von 16 Fällen ging dem Ballgewinn ein eigener Ballverlust voraus und fast immer war hier ein hoher bzw. langer Ball beteiligt, der entweder im Kopfballduell oder Zweikampf verloren ging bzw. gleich keinen Abnehmer fand. Die Ballverlierer waren dabei also entweder die Passgeber ins Nichts bzw. die Zweikämpfer nach dem Ball. Sehr schön zu sehen an der Verteilung der Spieler: Coltorti (2) – Hoheneder (2), Heidinger (2), Willers (1) – Röttger (1) – Frahn (3), Poulsen (1). Selbst wenn der Ball also im Aufbauspiel (mit weitem Ball) verloren geht, so verhindert das Gegenpressing nicht nur sehr gut den generischen Spielaufbau, sondern ermöglicht auch eigene Tore.
Auch bei den Gegentoren liegt die Gefahr vornehmlich in langen Bällen. Hier jedoch eigenen wie auch gegnerischen in die Spitze, lediglich bei zwei Gegenpressingtoren war kein langer Ball beteiligt. Beim 3:1 des CFC verliert Röttger das Spielgerät an der Mittellinie und reklamiert Foul, beim Ausgleich der Kickers stehen sich Heidinger und Willers im Wege und können den Ball daher nicht klären. Davon abgesehen gab es nur noch zwei Haupttypen: lange Bälle in die Spitze, gefolgt von einem Ballverlust und schnellem Umkehrspiel, welches die hochaufgerückte Defensive vor verschiedene Probleme stellte und gegnerische lange Bälle, die von den Abwehrspielern nicht konsequent genug verteidigt wurden (meist im Kopfballspiel). Somit ergibt sich beim Verlust des "ersten Balls" folgendes Bild: Coltorti (1), Domaschke (1) – Hoheneder (3), Franke (1), Willers (1), Heidinger (2), Müller (1), Jung (1) – Röttger (1), ein Ballverlust bleibt unklar (der weite Ball auf Poulsen vor dem 2:2 in Osnabrück). Hier ist gut zu sehen, dass es sich meist um lange Bälle handelt, denn entweder kommen sie nicht an (Stichwort fehlende Kopfballstärke vor Ernst) oder sie werden vom Gegner in die Spitze geschlagen und die Verteidiger werden ins 1:1 gezwungen. Natürlich folgt auch diesen Ballverlusten oft eine mittlere bis längere Fehlerkette, die das Tor dann schlussendlich erst ermöglicht, aber das würde in diesem Rahmen zu weit führen. Nur so viel sei gesagt, mit Müller fällt der stabilste Abwehrspieler (in Bezug auf Fehler vor Gegentoren pro Spielminute, berücksichtigt dabei Abspielfehler, Ballverluste, verlorene Zweikämpfe und grobe Stellungsfehler)der Hinrunde aus. Ob die offensiveren Varianten (Teigl / Heidinger) dies nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" kompensieren können, muss vorerst offen bleiben.
Fazit
Die Gegner haben sich auf RB eingestellt, weite Bälle und Gegenpressingtore beherrschen momentan die Szenerie. Dazu kommen bei RB viele gefährliche Standards, bei denen Kaiser momentan herausragt. Daher werden die Lehren, die man aus den "Gefahrenzonen" ziehen kann vielleicht auch für die Rückrunde von entscheidender Bedeutung sein. In der Mitte waren unsere Leipziger an normalen Tagen (Hansa und der CFC sind die bedeutendsten Ausnahmen der Hinrunde) sehr schwer zu knacken. Hier bleibt die Frage, für wen Demme ins Team kommt. Mit Ernst schwindet defensive Kopfballstärke, mit Kimmich offensive Überraschungsmomente. Im Sturm hat man mit Palacios einen Lückenfinder verpflichtet, dessen Instinkte beim schnellen Umschalten durchaus von großer Bedeutung werden könnten. Bliebe die Defensive. Hier zeigte sich die linke Abwehrseite zwar bei Außenbahnaktionen schwächer (siehe Heidingers Fehlen bei den Ballgewinnen), ist aber offensiv trotzdem gut vertreten (siehe Ballgewinne Jungs und Vorlagen Heidingers). Momentan ist offen, wer hier das Rennen macht, Sumusalo hat wegen seiner Verletzungen derzeit das Nachsehen. Auf der rechten Abwehrseite steht mit Teigl (oder Heidinger) das größte Fragezeichen. Kaum Ballverluste zeigten Müllers defensive Qualität, die Teigl und auch Heidinger nicht unbedingt als hervorstechendstes Merkmal ihr Eigen nennen. In der Innenverteidigung müssen die leichten Fehler unterbunden werden, die in der Hinrunde zu einigen vermeidbaren Toren führten.
Rumpelstilzchen
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