NACHWUCHSSPEZIAL TEIL I - DIE HERAUSFORDERUNGEN DER NACHWUCHSARBEIT

Leipzig - (22.01.2014) Medial ist das Thema omnipräsent. Talente, Eigengewächse und die Nachwuchsarbeit werden zum Aushängeschild für Vereine oder ein ganzes Land. Was es bedeutet ein Talent hervorzubringen soll Thema dieser kleinen Serie werden.


Der Nachwuchs kann für einen Fußballverein so vieles sein: Die Hoffnung auf neue Talente, die das Team nach vorn bringen oder eine dicke Ablöse in die Kasse spülen, der Kostenpunkt, der einen Club an den Ruin führt, ein Werbeträger oder ein Politikum. Selten wird dabei versucht, einen realistischen Blick auf die Talentförderung zu werfen. Im ersten Teil dieser Serie wird sich mit der Frage befasst, wie schwer es für ein Talent ist, den Sprung in den Kader einer Spitzenmannschaft zu schaffen und welche Hürden der Talentgewinnung in Zukunft auf RB Leipzig zukommen werden.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Die Deutschen konnten um die Jahrtausendwende keinen Fußball mehr spielen. 2004 war dann der Tiefpunkt erreicht und der DFB reagierte. Orientierend an den Niederlanden und Spanien wurde die Nachwuchsförderung auf eine neue Ebene gehievt. Jeder Fußballclub innerhalb der DFL brauchte nun ein zertifiziertes Nachwuchsleistungszentrum (NWLZ). Es müssen bestimmte Verantwortliche mit entsprechenden Qualifikationen in den NWLZ arbeiten, wie hauptamtliche Trainer, Pädagogen oder Betreuer. Der Stein kam ins Rollen und schon 2010 schwärmte man von der deutschen Fußballjugend. Mesut Özil, Thomas Müller oder Sami Khedira wurden zum Sinnbild des neuen Fußballs: jung, dynamisch und erfolgreich. Mittlerweile ist die Liste neuer Hoffnungen lang: Mario Götze, Julian Draxler, Timo Werner, Maximillian Arnold oder Max Meyer. Und auch RB Leipzig will in Zukunft die Liste erweitern.
Dabei ist das Projekt Talente in die Männermannschaft einzubinden eine Mammutaufgabe. Denn einen Spieler auf Topniveau zu bekommen, ist statistisch die Ausnahme. Schauen wir noch einmal zurück auf die Maßnahmen des DFB: Zusätzlich zur Installation der NWLZ wurde auch der Spielbetrieb der Juniorenbundesliga eingeführt. In drei Staffeln spielen die NWLZ der verschiedenen Vereine (nicht nur der DFL-Mitglieder) in der höchsten Spielklasse gegeneinander. Jedes Jahr scheiden aus 42 Nachwuchsbundesligisten circa 400 bis 500 gut ausgebildete Spieler aus, die alle gerne Profi werden wollen. Um ihr Ziel zu erreichen, müssen sich die Spieler gegen Talente aus anderen Ländern oder bereits "fertige" Spieler durchsetzen. So ist es nur ein geringer Teil der gut ausgebildeten Spieler, die es irgendwann einmal zum Profi schaffen, und das nicht immer zum Nutzen des Ausbildungsvereins. Denn der Anteil der Talente, die entweder den Kader nachhaltig verstärken oder eine gewisse Ablösesumme für den Jugendclub einbringen, ist noch einmal wesentlich geringer. In den folgenden Abschnitten sollen ein wenig die Relationen in Zahlen ausgedrückt werden:
Vorab sei ein Eigengewächs definiert als ein Spieler, der vor dem Sprung zu den Herren schon in dem Ausbildungsverein spielte und mindestens seit drei Jahren für den Verein unterhalb der Bundesligamannschaft am Ball ist. Außerdem soll er wenigstens an zehn Spielen in der Liga diese Saison mitgewirkt haben. Aus dem frisch erwachsenen 94er Jahrgang spielen fünf Talente in der Bundesliga. Einer, Milik, entfällt aus der Definition Eigengewächs. Calhanoglu (HSV) brachte dem KSC 2,5 Mio Euro, Emre Can (Bayer) den Bayern sogar 5 Mio. Ginter (Freiburg) und Arnold (Wolfsburg) sind mittlerweile Stützen in ihrer Mannschaft und werden von Transfermarkt.de auf zusammen 10 Mio Euro geschätzt. Macht vier Spieler, die es auf Bundesliganiveau schafften. Einzig Ginter kam auch aus Freiburg. Der 93er Jahrgang sieht nicht viel anders aus. Mit Julian Draxler (Schalke), Nico Schulz (Hertha BSC) und Christian Günter (SC Freiburg) konnten sich Nachwuchsspieler in ihrem Ausbildungsverein im zweiten Herrenjahr durchsetzen. Ablösen brachten Johannes Geis (900.000 Euro/von Fürth nach Mainz), Bittencourt (2,7 Mio/Cottbus nach Dortmund), Holzhauser (300.000/ausgeliehen von Stuttgart nach Augsburg) und Andre Hoffmann (800.000/ Duisburg nach Hannover). Bei den 92ern fallen acht Spieler ins Raster (Götze, Leno, Ter Stegen, Volland, Leitner, Knoche, Plattenhart, Cigerci). Macht 19 Spieler von über 1200 Spielern, die es in den drei Jahren nach der U19-Juniorenbundesliga diese Saison in die Bundesliga schafften. Also weniger als zwei Prozent.
Das CIES Football Observatory hat in einer Demografischen Studie den europäischen Fußball untersucht. Unter der Prämisse Nachwuchsförderung sollen ein paar Elemente aus der frei verfügbaren Veröffentlichung die Schwierigkeit noch einmal untermauern. So heißt es in der Expertise, dass ein Rekordhoch einer Fußballmigration (49,3% aller erfassten Spieler für die abgelaufene Saison) in die europäischen Top-Ligen einem Rekordtief an Eigengewächsen (21,2%) gegenüber steht. Der Wettbewerb im Fußball ist stärker geworden und zur Wettbewerbsfähigkeit gehört Internationalität. In allen Ligen gibt es mittlerweile eine gute Nachwuchsförderung und Talente, die von den großen Ligen magisch angezogen werden. Eine Eigengewächsquote legt die Studie direkt nach. Als Eigengewächs werden hier Spieler bezeichnet, die zumindest drei Jahre im Alter zwischen 15 und 21 für den Verein gespielt haben. Das Ergebnis ist wenig überraschend. La Masia brachte Barcelona eine Quote von 64% Eigengewächsen. Danach folgen die regional sehr verwurzelten Clubs von Athletic Bilbao (60,9%) und San Sebastian (59,7%). Auf Platz 9 der erste deutsche Verein. Wenig überraschend ist dies der SC Freiburg mit einer guten Quote von 34,6%. Außer Barcelona findet sich nur noch Arsenal als Top-Team in der Top10 mit 32,3%. Der Rest sind durchaus respektable Vereine wie Lyon, Sochaux, Bilbao, Montpellier, Stade Rennes oder Celta Vigo, aber fern von dem Stand, den RB Leipzig in den Visionen vieler haben soll. Von einer guten Nachwuchsarbeit in den Top-Ligen zu leben ist durchaus möglich und kann auch zum Ziel führen, wie Freiburg letzte Saison zeigte. Es lässt aber neben den Höhen auch Tiefen zu. Dabei ist es für den europäischen Wettbewerb wichtig sich national konstant zu zeigen. Schauen wir diese Saison wieder nach Freiburg und im Gegensatz dazu nach Augsburg (Eigengewächsanteil 0%) dann ist klar, welche Schwierigkeit es ergibt selbst auf gutem nationalen Niveau durch Eigengewächse zu punkten. Ein Blick zu Bayern München zeigt in der Prä-Pep-Ära einen Nachwuchs mit hoher Talentdichte und einer durchaus guten Eigengewächsquote von im Durschnitt 4,2 Eigengewächsen pro Spiel. Das dürfte aufzeigen, was man erwarten darf, sollte man wirklich irgendwann dauerhaft nach der europäischen Krone greifen wollen. Mit David Alaba und Toni Kroos erfüllen zwei Zugänge in den letzten drei Jahren die Definition des Eigengewächses der CIES, auch wenn beide erst zur U19 zu Bayern München kamen.
Es taucht auch eine weitere Herausforderung auf: der Talentpool ist beschränkt. Sicher kann in jedem Leistungszentrum aus jedem Spieler noch etwas herausgekitzelt werden. Aber die Anzahl der Talente, die den Weg zu den Profis schaffen kann, steigt nicht einfach, weil ein neues NWLZ aus dem Boden gestampft wird. Vielleicht nimmt sie leicht zu, aber das Netz der Zentren ist schon jetzt ziemlich flächendeckend. Im schlimmsten Fall heißt das: mehr Konkurrenz um einen recht konstanten Talentpool. Tatsächlich könnte es sogar ein sinkender Talentpool werden. Das Stichwort: Demografie. Wolfgang Niersbach formulierte in der Harzer Zeitung 2013 das Problem: "Wir müssen an der
Basis für Jungen und Mädchen werben wie nie zuvor. Wir haben
beispielsweise bei den Zehn- bis 14-Jährigen 4000 Mannschaften weniger
als im Jahr zuvor". Man möge sich die Anzahl von 4000 Mannschaften kurz vor Augen halten. In Leipzig zum Beispiel haben die Vereine immer mehr Probleme ihren Nachwuchssoll zu erfüllen. Doch nur aus einer starken Basis lässt sich eine gute Leistungspyramide bis in die Spitze aufbauen. Es ist natürlich erst einmal ein Widerspruch: in den letzten Jahren mehr Talente und gleichzeitig weniger Nachwuchskicker im Breitensport? Tatsächlich dürfte die aktuelle Ausbeute eher aufzeigen, welches Potenzial noch vor einigen Jahren brach lag. Der positive Effekt wird noch weiter anhalten, aber der Wegfall von Nachwuchskickern in der Breite wird sich früher oder später bemerkbar machen und den Wettbewerb um Talente anheizen.
Mit diesen Zahlen im Hinterkopf muss man sich die Besonderheit von RB Leipzig vor Augen halten: Schnellstmöglich zu den Top-Teams gehören. Selbst mit größter Mühe wird man kaum alle nationalen
Talente auf sich vereinen können und es wird wohl pro Jahr vielleicht drei bis vier deutsche Talente geben, die für RB Leipzig überhaupt interessant
sind. Dass diese nun ausgerechnet am Cottaweg Verein und nicht im
Nachwuchs von München, Freiburg, Stuttgart, London oder Turin landen, bedarf einiges an Überzeugungsarbeit . RB Leipzig braucht mit seinem NWLZ Argumente, um junge Spieler mit Potenzial nach Leipzig zu locken. Im Augenblick kann man dies mit Perspektive, der Fußballphilosophie und dem finanziell potenten Partner Red Bull bewerkstelligen. Allerdings profitiert RB Leipzig von der besonderen Situation in der 3. Liga und der Möglichkeit, Nachwuchsspieler auf dem Niveau direkt in der Männermannschaft Einsatz geben zu können. Spätestens auf dem Topniveau in Deutschland verpuffen auch diese Effekte. Durchlässigkeit gibt es dann z.B. in Freiburg wie die Eigengewächsquote zeigt oder Perspektive bei den Bayern als Verein mit den meisten ausgebildeten Fußballern in den 5 europäischen Topligen in Deutschland.
Fassen wir die Herausforderungen für die Nachwuchsarbeit bei RB Leipzig zusammen: Es gibt einen Punkt an dem man andere NWLZ kaum noch ausstechen kann und somit große Anstrengungen unternehmen muss, um ein Talent an Leipzig zu binden. Die Wahrscheinlichkeit, das Talent auf Spitzenniveau im Männerbereich zu integrieren, liegt im unteren einstelligen Bereich. In Ländern abseits der Spitzenligen wird die Nachwuchsarbeit immer besser und so werden auch da Talente im Fokus und damit in Konkurrenz zu einheimischen Talenten stehen. Schließlich droht perspektivisch die Leistungspyramide an Fundament zu verlieren.
Warum die Nachwuchsarbeit bei RB Leipzig trotzdem so wichtig ist, folgt im nächsten Teil!
crank
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