KADERANALYSE: TOR UND ABWEHR

Leipzig - (16.07.2015) Kaderplanung (so gut wie) abgeschlossen?! Zeit für uns, um den aktuellen Kader einmal genauer zu betrachten und zu schauen, was sich auf den einzelnen Spielpositionen so getan hat. Beginnen wird dort, wo das Aufbauspiel im modernen Fußball seinen Anfang findet: in der Abwehr.


"Der Angriff gewinnt Spiele, die Verteidigung Meisterschaften". Nun wird es zwar bei dem einen oder anderen kräftig im Phrasenschwein klingeln, jedoch hat sich diese alte Fußballweisheit so manches Mal bewahrheitet. Darmstadt, als Überraschungsteam der letzten Zweitligasaison, macht es vor: eine stabile Abwehr kann den Grundstein legen für eine erfolgreiche Saison. Und ganz besonders erfolgreich soll sie für die Leipziger Jungs werden, die im zweiten Anlauf den Aufstieg in das Oberhaus des deutschen Fußballs klar machen wollen. Ganz logisch also, dass bei den Transferaktivitäten unseres Sportdirektors und Trainers Ralf Rangnick, die Defensive verstärkt in den Fokus gerückt ist.
Tor
Diesen Sommer gab es, wie die Jahre zuvor eigentlich üblich, nur einen Wechsel im Torwartteam zu verzeichnen. Thomas Dähne musste zu Gunsten des letztjährigen Stammtorhüters von RB Salzburg, Péter Gulácsi, weichen. Mit der Erfahrung von 65 Spielen in der österreichischen 1. Liga, 19 Europaleague-Spielen und sechs Championsleague-Qualifikationsspielen ist klar, dass Gulácsi nicht in den Kader gekommen ist, um den Platz des dritten Torwartes einzunehmen. Ralf Rangnick betonte unlängst in einem Interview, dass er im Tor vor allem ein Duell zwischen den letztjährigen Stammtorhüter Leipzigs, Fabio Coltorti, und dem Neuzugang aus Salzburg erwartet. Sicher sei nur, dass Coltorti vorerst das Tor hütet, da Gulácsi noch eine Sperre aus dem Vorjahr absitzen muss. Ob Coltorti diese Zeit (sehr wahrscheinlich vier Spieltage) nutzen und seinen Anspruch auf die Position zementieren kann, bleibt abzuwarten. Egal wer sich am Ende im Tor durchsetzt, Leipzig hat damit zweifellos einen Toptorwart und wahrscheinlich das beste Torwarttrio der gesamten 2. Bundesliga. Apropos Trio: Leidtragender dürfte Benni Bellot sein, der sehr wahrscheinlich nun nur noch als dritter Torwart in Ausnahmefälle in den Kader rücken sollte. Schade, zumal der Leipziger Jung' gerade erst seinen Vertrag verlängert hatte und die Ü23-Positionen in der zweiten Mannschaft zu rar sind, um dort nachhaltig Spielpraxis zu sammeln.
Abwehr – Außenverteidiger
Spätestens nach dem beschlossenen Wechsel des zum Außenverteidiger umfunktionierten Sebastian Heidinger, war klar, dass sowohl auf der rechten Seite als auch auf der linken Seite Verstärkung benötigt wird. Mit Ken Gipson kam abermals ein Nachwuchsspieler der Stuttgarter Akademie nach Leipzig, der vor allem mittelfristig eine weitere "echte" Außenverteidigerlösung darstellen soll. Kurzfristig ist anzunehmen, dass Ralf Rangnick vor allem mit Klostermann und Teigl auf dieser Position plant und Gipson lediglich der dritte Backup ist und sich in der U23 der Leipziger fit halten soll.
Insgesamt geht die Tendenz wohl leicht in Richtung Georg Teigl. Ihm kommt zu Gute, dass er – im Gegensatz zu Klostermann – die gesamte Vorbereitung (mit Ausnahme des Testspiels gegen Rubin Kazan) mitmachen konnte. Darüber hinaus präferiert das von Rangnick avisierte 4-2-2-2-Spielsystem offensive Außenverteidiger, was einem gelernten Offensivspieler wie Teigl nur Recht sein sollte. Grundsätzlich wäre aber auch ein Klostermann auf der Rechtsverteidigerposition gut denkbar, spielte dies auch teilweise in den deutschen Juniorenteams. Seine Entwicklungsfortschritte dürften auch bei Rangnick nicht unbemerkt geblieben sein, sodass er eine reale Chance auf einen Stammplatz haben dürfte. Die Körpergröße und soliden Verteidigerfähigkeiten sprechen für ihn, das verpasste Trainingslager und die ausbaufähigen Offensivfähigkeiten gegen ihn, sodass frühestens der Test gegen Tel Aviv Auskünfte über die Pläne des Coachs liefern sollten. Insgesamt präsentiert sich die rechte Verteidigerposition der Leipziger also als solide. Alternativen wie die getesteten Diego Demme und Stefan Hierländer sind höchstens als Notlösung anzusehen. Sie werden nach aller Wahrscheinlichkeit keine gesteigerte Rolle spielen, sofern keine Verletzungswelle die rechte Verteidigerposition ausdünnt.
Auf der linken Außenverteidigerposition stellt sich die Situation ähnlich dar: Mit Tony Jung scheint nach wie vor die Vor- und Vorvorjahresbesetzung fest im Sattel zu sitzen. Obwohl er im Vergleich zur guten Hinrunde in der 2. Liga etwas abzubauen schien, darf die Leistung des gebürtigen Spaniers zuletzt immer noch als "solide" bezeichnet werden, führte immerhin zu einer Vertragsverlängerung. Selbige dürfte auch zeigen, dass gute Linksverteidiger eine echte Rarität im modernen Fußball darstellen. Trotz, oder gerade deswegen, wurde aber der Ruf nach einer echten Alternative laut. Verpflichtet wurde der junge russische Linksverteidiger Dmitri Skopintsev aus der zweiten Mannschaft von Zenit St. Petersburg. Mit 18 Jahren theoretisch noch für die U19 von RB Leipzig spielberechtigt, ist es natürlich fraglich, ob er direkt eine wahrnehmbare Konkurrenz zu Anthony Jung darstellen kann. Die wenigen Eindrücke, die man bisher gewinnen konnte, lassen zumindest keine gesicherte Beurteilung zu. Wahrscheinlich ist es, dass er – wie Ken Gipson – eine mittelfristige Alternativlösung zum angestammten Personal darstellen soll. Es ist also anzunehmen, dass ab dem ersten Spieltag weiterhin Tony Jung die linke Verteidigerposition übernehmen wird, ob in einer verbesserten Form als in der Rückrunde (keine Offensivimpulse), bleibt abzuwarten, immerhin gibt es nun vielleicht eine Alternative. Der zurückgekehrte Mikko Sumusalo hingegen ist nicht mit in das Trainingslager der Ersten Mannschaft gereist, hält sich bei der U23 fit, soll sich dem Vernehmen nach einen neuen Verein suchen und spielt keine Rolle mehr in der Planung von Ralf Rangnick.
Abwehr – Innenverteidiger
Das Herzstück der Leipziger Abwehrreihe hat diesen Sommer eine komplette Runderneuerung erfahren und dies obwohl RBL insgesamt bereits eine der besten Hintermannschaften der Liga stellte. Mit Willy Orban (Ex-Kaiserlautern) und Atınç Nukan (Ex-Besiktas) wurden zwei Spieler verpflichtet, die auf der Innenverteidigerpositions zweifelsfrei als "Top-Talente" zu bezeichnen sind. Mit dem gleichzeitigen Ausscheiden von Hoheneder, Franke und Rodnei, wurde die lang geforderte "Verjüngungskur" nun also auch auf die Position des Innenverteidigers ausgeweitet. Dass beide aber nicht in den Kader gestoßen sind, um die Bankplätze für die Alteingesessenen zu wärmen, zeigt deren jetzt schon beachtliche Vita: 66 Zweitligaspiele, zwei Erstligaspiele, sieben DFB-Pokaleinsätze und die Kapitänsbinde der letzten Saison stehen auf der Haben-Seite von Orban. Und das mit 22 Jahren. Kaum verwunderlich, dass das Beben des "Betzes" nach der Transferbestätigung auch noch auf Rügen zu spüren war.
Nukans Einsatzzeiten im letzten Jahr halten sich dagegen etwas in Grenzen: neunmal stand der gebürtige Istanbuler für seinen Heimatverein Besiktas auf dem Rasen. Ansonsten musste sich der U23-Nationalspieler der Türkei vornehmlich mit einem Bankplatz begnügen. Der Vollständigkeithalber sei aber angemerkt, dass die türkische Süper Lig, in der Besiktas Istanbul regelmäßig um die Championsleague Plätze spielt, einen guten Ruf in Europa genießt. International renommierte Offensivspieler wie Demba Ba, Wesley Sneijder und Diego stellen zweifelsfrei für jeden 21-jährigen Innenverteidiger eine große Herausforderung dar, weswegen die Nominierung für den Kader von Besiktas bereits eine entsprechende Leistungshonorierung darstellen sollte. Darüber hinaus bringt er den für das Rangnicksche System so wichtigen linken Fuß mit und spielte sich gerade gegen Ende der letzten Saison verstärkt in den Fokus.
Unterm Strich wurden zwei für die Zweite Bundesliga herausragende Transfers getätigt. Beide, Orban und Nukan, können sich mehr als berechtigte Hoffnungen machen, die Innenverteidigerpositionen zum ersten Spieltag zu besetzen. Weitere, ebenso herausragende Alternativen, stellen Tim Sebastian und Lukas Klostermann dar. Ersterer war schon letzte Saison maßgeblich für die gute Abwehrleistung der Leipziger verantwortlich (Kicker-Note 2,98), brillierte meist durch Erfahrung und Ruhe. Letzterer hat zuletzt bei der U19-EM in Griechenland bewiesen, dass er sich auch auf der Position des linken Innenverteidigers wohl fühlt. Somit ist prinzipiell jede Kombination aus Nukan/Klostermann und Orban/Sebastian denkbar. Aufklärung wird wahrscheinlich auch hier das Testspiel gegen Tel Aviv bringen, wobei der Autor dieser Zeilen die Kombination Nukan neben Orban als die wahrscheinlichste empfindet. Beide bringen neben den Schlüsseleigenschaften (Kopfballstärke + gutes Aufbauspiel) die für Rangnick so wichtige, jugendliche Dynamik mit sich. Darüber hinaus sind die hohen Ablösesummen ein weiterer Indikator dafür, wie zwingend der Coach diese beiden Spieler in seinem Kader wissen wollte. Insgesamt verdient sich die Innenverteidigung von RB Leipzig, unter Berücksichtigung aller Eventualitäten, das Prädikat "sehr gut".
Verlierer dieser Transferperiode dürfte ohne Zweifel Compper sein. War er noch letzte Saison der etwas wackligere Stammspieler neben Tim Sebastian, dürfte er die kommende Saison nur noch als Reservist in Betracht kommen. Hinzu kommt, dass er zum einen das gesamte Trainingslager verletzt aussetzen musste und er zum anderen mit seinem nun 30 Jahren auch nicht mehr zum jungen Eisen gehört. Bezeichnend, dass sich die Wechselgerüchte um ihn zuletzt gemehrt hatten.
Fazit zur Besetzung im Tor und in der Abwehr:
Sowohl im Tor als auch in der Innenverteidigung ist man im ligaweiten Vergleich exzellent besetzt. Vor allem die Verjüngung in der Innenverteidigung war für die perspektivische Weiterentwicklung der Innenverteidigung wichtig. Auf den Außenverteiderpositionen stehen hingegen noch kleinere Fragezeichen. Letztlich spielte Anthony Jung in der Rückrunde solide, aber seine guten Leistungen in der Hinrunde konnte er leider nicht bestätigen. Mit Skopintsev wartet dahinter sicher ein großes Talent. Ob er in dieser Saison schon eine gute Rolle spielen kann, bleibt abzuwarten. Dies gilt ebenfalls für Ken Gipson, der wohl auch noch Zeit braucht, um den Sprung in den Männerbereich zu bewältigen. Auf der rechten Außenverteidigerposition stehen mit Georg Teigl und Lukas Klostermann zwei gute Alternativen bereit. Gerade Lukas Klostermann verfügt über großes Potenzial, so dass aus dem kleinen Fragezeichen auf dieser Position schnell ein Ausrufezeichen werden kann.
Thixo
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