TAGE WIE DIESER – MAI DER ENTSCHEIDUNGSMONAT

Leipzig - (05.05.2016) Der Mai ist der Monat der Entscheidungen, zumindest wenn es um den Vereinsfußball geht. Auch in der langen Leipziger Fußballgeschichte hat der Mai einen besonderen Stellenwert. Am Sonntag können die Rasenballer ihren Teil dazu beitragen, die Leipziger Fußballchronik fortzuschreiben.


Am kommenden Sonntag können unsere Rasenballer Geschichte schreiben, nach 22 Jahren könnte bei einem Sieg zum ersten Mal wieder eine Leipziger Mannschaft die Bundesligabühne betreten. Nur noch ein kleiner Schritt für einen Rasenballsportler, aber ein großer für Fußballleipzig. Im Mai kehrt nicht nur das Leben in die müden Glieder zurück, der Mai ist auch traditionell der Monat der Entscheidungen im Fußball. Im Idealfall kann sich der Aufstieg RB Leipzigs also einreihen in die lange und traditionsreiche Geschichte (ja, er hat es wirklich benutzt…) des Leipziger Fußballstandorts.
Beginnen wir die kleine Zeitreise durch den Mai mit der fast schon mythischen Gründung des bisher größten Leipziger Aushängeschilds: Am 13. Mai 1896 wird in "Bodens Deutscher Trinkstube" der VfB Leipzig gegründet, nicht der erste Leipziger Fußballklub, aber die "Lilien" (damaliger Spitzname – Darmstadt ihr Nachmacher!) werden später erster Deutscher Meister und Gründungsmitglied des DFB.
Nur drei Jahre nachdem der DFB 1900 ebenfalls in Leipzig aus der Taufe gehoben wurde, sicherten sich die Leipziger Bewegungsspieler am 31. Mai 1903 in Hamburg-Altona gegen den DFC Prag die erste offizielle Deutsche Meisterschaft. Auch die beiden folgenden Titel vor dem Ersten Weltkrieg: am 27. Mai 1906 in Nürnberg (übrigens bis heute der einzige Leipziger Sieg in der fränkischen Metropole) gegen den 1. FC Pforzheim und am 11. Mai 1913 in München gegen die Duisburger SpV wurden stilsicher im Mai eingefahren. Zeitweise kickte der VfB dabei in den Finalrunden auch am Cottaweg, nur einen Steinwurf vom Standort des heutigen infrastrukturellen Herzstück RB Leipzigs entfernt.
Zwar waren die Leipziger Teams auch in der Zwischenkriegszeit sehr erfolgreich. Letzter Höhepunkt war der Überraschungserfolg im Tschammer Pokal 1936, bei dem der VfB seinen letzten großen Titel errang und den scheinbar übermächtigen FC Schalke 04 im Berliner Olympiastadion schlug. Die großen Erfolge im Entscheidungsmonat Mai sollte indes zukünftig vorerst ein anderer Verein einfahren.
Im Zuge der Umstrukturierungen im DDR Fußball entstand 1950 die BSG Chemie, die gleich im ersten Jahr ihres Bestehens im Mai 1951 die DDR Meisterschaft erringen konnte. In einem Entscheidungsspiel gegen die punktgleiche Turbine aus Erfurt siegten die Chemiker vor 60.000 Zuschauern (bis zu den großen Tagen des Leipziger Zentralstadions DDR Oberliga Rekord) am 20. Mai 1951 in Chemnitz.
Die größte Sensation erfolgte jedoch 13 Jahre später, wahrscheinlich die überraschendste Meisterschaft in der Geschichte der DDR, der legendäre "Rest von Leipzig", eine Auswahl von vor der Saison als „nicht förderungswürdig“ zur BSG Chemie versetzter Kicker, machten wie 13 Jahre zuvor erneut gegen Erfurt alles klar. Beim letzten Auswärtsspiel schossen die Chemiker am 10. Mai 1964 Erfurt in die zweite Liga und sich selbst auf den Thron. Es sollte nach 1954, dem Zeitpunkt der Umstrukturierung im DDR Fußball und der damit verbundenen Zentralisierung, die einzige Meisterschaft einer BSG in der DDR bleiben, von denen viele zuvor zugunsten von SCs eingestampft worden waren.
Als Sinnbild der Höhepunkte der späten achtziger Jahre darf in der Reihe der "Entscheidungsspiele im Mai" die Niederlage des 1. FC Lok im Finale des Europapokals der Pokalsieger am 13. Mai 1987 in Athen gegen Ajax Amsterdam gelten. Die Niederländer, die von Johan Cruff trainiert wurden und mit Marco van Basten – dem Siegtorschützen – einen der besten Torjäger dieser Zeit in ihren Reihen hatten, wurden bis zum äußersten gefordert. Trotz des 1:0 ein absoluter Achtungserfolg der Lokomotive, die in den Spielen gegen Bordeaux und Neapel (ein Jahr später) das Stadion der Hunderttausend bis zum Bersten füllen konnte und in den Achtzigern zu den besten Teams der DDR zählte.
Wendezeit, Fusionen, Rückbesinnungen, Umbenennungen, Sensationen (Jimmy Hartwig…), der große Eintrag in die Leipziger Maichronik erfolgte indes ein paar Jahre später. Nach der Rekordrunde 1992/93 (46 Ligaspiele) steht der VfB vor dem letzten Spieltag auf einem Aufstiegsplatz, vorentscheidend jedoch, um an diesem Junitag gegen Guido Schäfers Mainzer den Aufstieg klar zu machen, waren die Spiele im Mai: am 7. Mai 1993 wurde der souveräne Tabellenführer aus Freiburg bezwungen, am 30. Mai 1993 Verfolger Mannheim mit einem Punktgewinn auf Abstand gehalten. So stieg an diesem Junitag zum ersten und bisher einzigen Mal ein Leipziger Team nach der Wende in die 1. Bundesliga auf. Auch damals war es übrigens deutlich schwerer an Karten für das Endspiel gegen Mainz zu kommen (fast 40.000 Zuschauer), als an Tickets für die Spiele zuvor, in denen das Zentralstadion fast nie mehr als 10.000 Zuschauern begrüßen durfte.
Aber schon ein Jahr später war Schluss, fast auf den Tag genau vor 22 Jahren verließ der VfB wieder den großen Bundesligazirkus, zu groß war schon damals der Abstand zu den etablierten Klubs aus den alten Bundesländern. Nach nur drei Siegen (einer davon gegen den KSC, damals noch mit „Eiermann“ Kahn, „Löwenmähne“ Schäfer und „Mr. Darmstadt“ Dirk Schuster), war das Spiel gegen Bayer Leverkusen, der DDR Oberligafiliale vom Rhein (mit Ultra Ulf, Andi Thom und dem aktuellen Lok Trainer Heiko Scholz), der vorerst letzte Leipziger Bundesligauftritt, am 7. Mai 1994 brachte Dieter Heckings Eigentor den VfB früh auf die Verliererstraße, Kirsten besiegelte mit seinem 2:3 eine Minute vor Bundesligaschluss die 20. Saisonpleite.
Bald darauf war Schluss für das altehrwürdige jedoch extrem marode Zentralstadion, keine 10 Jahre nach Maradona und Co wurde das ZS eingemottet und erwachte erst vor der Weltmeisterschaft runderneuert wieder aus seinem Dornröschenschlaf. In einer Zeit, in der manch einer (der nicht aus den zwischenzeitlichen Insolvenzen schlau geworden war) noch an den Aufschwung glaubte, sah das neue Zentralstadion einen der letzten Höhepunkt vor dem Beginn der Ära des Rasenballsports, den letzten Titelgewinn des FC Sachsen am 4. Mai 2005. Im Jahr zuvor war das Zentralstadion fertiggestellt worden, der FC Sachsen jedoch aus der Regionalliga abgestiegen und der VfB von der Bildfläche verschwunden. Mit dem anvisierten Wiederaufstieg wurde es jedoch nichts, so war der Pokalsieg gegen den Favoriten aus Chemnitz Balsam für die Leipziger Fußballseele. In der Nachspielzeit – der 119 Minute – schoss Schwesinger das Siegtor und die rund 8000 FCS Fans kannten kein Halten mehr. Im DFB-Pokal gegen Dynamo Dresden erlebte die WM-Arena in der folgenden Saison noch einmal echtes Bundesligaflair vor gut 30.000 Zuschauern, allein, die großen sportlichen Ziele sollten nicht mehr erreicht werden.
Ortswechsel: „Didis kleine Trinkstube am Fuschlsee“, es ist der 19. Mai 2009 eine kleine Gemeinschaft sitzt zum Umtrunk, man diskutiert Ideen zum Rasenballsport, bechert die tauringeschwängerte Hausmarke, ein Wort gibt das andere, auf einmal der Geistesblitz: ein Fußballverein modernen Anstrichs soll es sein, man holt den Bundesligaatlas und sucht nach weißen Stellen, die sind östlich des Harz schnell gefunden. Einer der Herren hatte gehört, dass in Leipzig nun auch der zweite Klub Insolvenz angemeldet hat, man überlegt nicht lange, schnell ist klar, dort will man den neuen Fußballverein aus der Taufe heben. Da die Herren nicht mehr wie in alten Zeiten die Hausmarke gleich als Vereinsname benutzen können (Borussia lässt grüßen), muss man ein wenig tricksen, aber RasenBallsport tut es zur Not auch. RBL ist geboren. Wenige Tage schießt der FCS sein allerletztes Regionalligator, auch hier gehen bald die Lichter aus.
In den folgenden Jahren sollte der Mai regelmäßig wegweisende Spiele für die junge Rasenballsportgemeinde zu bieten haben. So feierte RBL am 2. Mai 2010 nach erfolgter Sofameisterschaft den Aufstieg gemeinsam mit den Fans des VfL Halle und begründete eine Fanfreundschaft mit den Saalestädtern. Allerdrings brachte das Saisonfinale am 29. Mai 2010 nicht nur für Trainer und Team ein paar unangenehme Neuigkeiten, sondern auch nach 15 Siegen in Serie die erste Niederlage des Jahres – ausgerechnet im Abschiedsderby gegen den FCS. Ein Jahr später durften die RBL Fans am 21. Mai 2011 dann in Chemnitz erneut einer Aufstiegsfeier beiwohnen, jedoch leider nicht der eigenen. Immerhin gelang Anfang Juni der Versöhnliche Abschied von Oral mit dem grunsteinlegenden ersten Sachsenpokalsieg, welcher die Sensation gegen Wolfsburg erst ermöglichte. Leider sollte auch Pacult in der Regionalliga seinen Meister finden. Am 12. Mai 2012 mussten die RBL-Fans eine bittere Pille schlucken, Polters Tor zerstörte alle Aufstiegsträume und ließ die Rasenballsportfans eine Woche später in Halle am 19. Mai 2012 erneut einer fremden Aufstiegsfeier beiwohnen und in Meuselwitz das Gras in die Höhe schießen. Besser lief es unter Zorniger ein Jahr später, in einer beispiellosen Saison ohne Niederlage wurde zuerst im Sachsenpokalfinale am 15. Mai 2013 der höherklassige CFC mit 4:2 an die Wand gespielt, ehe am 29. Mai 2013 mit dem 2:0 Heimsieg gegen den souveränen RL Westmeister aus Lotte, der Grundstein für den Aufstieg in die dritte Liga gelegt wurde (vor der damaligen Viertligarekordkulisse von über 30.000 Zuschauern). Der Rest ist: „Ohne Willers wär‘n wir gar nicht hier!“.
Letzter Punkt auf unser Reise durch den Mai im Wandel der Zeiten: 3. Mai 2014, in wenigen Monaten wird Deutschland Weltmeister, in Leipzig ist heute schon das Fußballhighlight des Jahres: Im letzten Heimspiel gegen den designierten Absteiger aus Saarbrücken kann RBL den Aufstieg in die 2. Bundesliga klar machen, nach 16 Jahren wäre Fußball-Leipzig zurück im Unterhaus. Fanmarsch zum Stadion, der erste seiner Art (der zweite soll am Sonntag folgen), Sturmlauf einer entfesselten Rasenballeroffensive, Kaiser (3) und Frahn (2) machen alles klar: 5:1 – Aufstieg.
Jetzt fast 120 Jahre nach dem Beginn unserer Reise ist es an der Zeit, dass die Rasenballer am 8. Mai 2016 einen weiteren Eintrag in die Maichronik des Leipziger Fußballs schreiben. Das Tor steht offen, oder frei nach Sven Neuhaus: „die Treppe steht bereit, man muss sie nur selbst emporklettern!“
Rumpelstilzchen
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