XXL-FAN-INTERVIEW MIT JULIAN NAGELSMANN – TEIL 1

Leipzig - (06.10.2019) Der Beginn einer neuen Ära. Wir haben uns mit unserem neuen Chefcoach getroffen und Julian Nagelsmann vor der englischen Woche am Cottaweg mit Fragen gelöchert. Im ersten Teil der dreiteiligen Interviewreihe geht es um Nagelsmann privat.


Vor der englischen Woche trafen sich unsere Redakteure Rumpelstilzchen und Justgroovy am Cottaweg zu einem Interview mit unserem Neutrainer Julian Nagelsmann. In drei Teilen wurden persönliche Fragen genauso gestellt wie Fragen zur Taktik, Spielsystem und den Neuzugängen. Auch Themen wie Fanszene, Stadion und Nachwuchs kamen zur Sprache. Im ersten Teil unserer dreiteiligen Reihe geht es um Nagelsmann privat. Wie tickt unser Cheftrainer?
Du bist gerne draußen unterwegs und für rasante Sportarten wie Mountainbike bzw. Downhill zu haben. Bist du schon einmal den Fockeberg runtergebrettert? Was machst du in Leipzig, wenn du dich auf die Art erholen möchtest?
Crossrad fahren geht. Am Sonntag bin ich an der Luppe Richtung Halle gefahren. Aber Mountainbiken ist eher dünn, da fehlen die Mountains… Wassersport kann man aber sehr gut machen. Das mache ich gelegentlich auf einem der Seen.
Wo ist da das Rasante? Ich hatte mal gehört, dass dir wichtig ist, den Kopf freizubekommen. Bei so einer rasanten Abfahrt, da kann man schon einmal alles um sich herum vergessen.
Beim Wassersport kann man Kiten oder Windsurfen gehen. Ich habe einen Wingsurf von Red Bull bekommen. Da geht schon einiges, Konzentration und eine gewisse Geschwindigkeit treffen da aufeinander. Auch Motorrad fahre ich hin und wieder. Alle Sportarten in denen du Geschwindigkeit mit einer gewissen Konzentrationspflicht kombinierst, beispielsweise, weil du es sonst nicht auf das Surfboard schaffst oder beim Motorradfahren nicht die Kurve bekommst, sind gut, um den Kopf freizukriegen.
Auch weil du dein Handy nicht dabei haben kannst bzw. nicht darauf schaust, weil du deine Durchschnittsgeschwindigkeit halten willst und bspw. mit dem Crossrad mit 40 Richtung Halle unterwegs bist. Wenn du aber nur so durch die Gegend tingelst mit dem Rad, dann kommst du vielleicht auch ins Nachdenken, aber wenn du so platt bist, dass du aufpassen musst nicht vom Rad zu fallen, dann geht das schon.
Wo du gerade von Handynutzung redest. Hast du einen Rat an die Generation-Instagram bzw. ist das in der Mannschaft ein Problem?
Einen Rat nicht zwingend. Ich glaube das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wenn du so durch die Stadt gehst und siehst Teenagergruppen, die zu acht jeweils mit dem Smartphone durch die Gegend laufen, aber nicht miteinander kommunizieren. Wir waren vor dem Bremenspiel beispielsweise zu Gast beim FC Oberneuland auf dem Trainingsgelände, am Rande mehrere Kinder, vielleicht 12 Jahre alt. Jeder mit seinem Handy ohne aber mit dem Anderen zu reden.
Ich glaube, dass es ein großes gesellschaftliches Problem ist oder wird. Zum einen, was die Strahlung anbelangt, wo wir jetzt noch nicht wissen, was mögliche Langzeitfolgen sind. Zum anderen für die Augen, weil viele das Handy in der Dunkelheit nutzen. Dazu die Frage der Kommunikation. Es wird zunehmend gesprochen, wie man bei WhatsApp schreibt. Keine Artikel, keine Rechtsschreibung usw.
Dieses Problem hast du in der Mannschaft natürlich auch irgendwie, sie ist ja auch ein Teil der Gesellschaft. Aber die Handynutzung ist schon extrem. Ich sehe es auch bei mir, wenn ich z.B. im Wochenbericht sehe, dass ich am Tag über drei Stunden auf das Smartphone geschaut habe. Echt irre. Aber gefühlt ist es ohne heutzutage auch schwer möglich. Da hat man sofort das Gefühl, du bekommst nichts mehr mit. Aber wenn man am Abend den Tag Revue passieren lässt, dann ist es doch recht wenig, was man ohne Handy für ein erfolgreicheres und besseres Leben verpasst hätte.
Gibt es das Handy-Nutzungsverbot in der Kabine noch?
Das gibt es in der Form nicht mehr, aber die Empfehlung eine halbe Stunde vor dem Training kein Handy mehr zu benutzen. De facto ist es auch so, dass nicht ständig jemand durch die Kabine laufen kann. Da müsstest du den Co-Trainer wie einen Sheriff durchlaufen und die Strafen verteilen lassen. Das ist einfach schwierig, da du dann immer so einen extremen Bad Cop brauchst.
Wichtig ist mir, dass sie eine halbe Stunde vor dem Training im Kraftraum sind und auch zu den Behandlungen und im Essensraum kein Handy dabeihaben. Also überall da, wo auch sozialer Kontakt stattfinden soll oder sie sich auf andere Sachen konzentrieren sollen. Aber es ist für mich nicht entscheidend, dass sie in der Kabine gar kein Handy in der Hand haben, das machen sie sowieso. Es kann mir Keiner erzählen, dass, egal bei welchem Bundesligaklub, niemand ein Handy dabei hat.
Zudem ist es hier im Trainingszentrum auch räumlich getrennt. In Hoffenheim brauchte man nur die Tür aufzumachen und reinzuschauen. Hier müsstest du erstmal 50 Meter gehen. Da geht keiner alle drei Minuten rüber und schreibt auf, wer dort dann gerade auf sein Handy schaut.
Apropos Kabine in der Red Bull Arena, ist die denn jetzt rund?
Die ist leider noch nicht rund. Das wird wohl erst in Bauabschnitt III, also ca. 2021 umgesetzt.
Großartig.
Um die Kurve zum Beginn noch zu bekommen, hast du dich schon eingelebt in Leipzig? Schon eine Lieblingsstelle?
Die Gottschedstraße finde ich schön, zum Beispiel um Essen zu gehen. Allerdings war ich vielleicht jetzt zweimal in der Stadt. Die meiste Zeit bin ich hier im Büro oder mit der Mannschaft unterwegs. Hatte da bisher sehr wenige Möglichkeiten, weil in den Phasen, in denen mal kein Fußball ist, bin ich bei der Familie und mit ihr gehe ich nicht gern in die Stadt, einfach weil es da nicht unbedingt sehr angenehm ist. Da musst du schauen, dass nicht jeder dauernd ungefragt Fotos macht, das ist nicht erholsam, besonders nicht für die Frau und das Kind.
Die Momente, in denen ich die Stadt alleine besucht habe, da hat es mir schon gefallen. Insgesamt bekomme ich aber genauso wenig mit, wie zuvor von Heidelberg, wo ich auch nur wenige Kilometer entfernt gewohnt habe. Ich bin jetzt also nicht zwingend ins „Stadtleben“ integriert.
Unser Nico hat ja sehr viel recherchiert und laut eigener Aussage hast du seinerzeit die Telefonnummer über einen Kumpel an deine heutige Frau weiterreichen lassen.
(Lacht) Das ist richtig.
Wie hat sich das denn verändert, jetzt hältst du Vorträge vor Hunderten Trainerkollegen und leitest einen Bundesligaklub?
Schüchtern war ich vornehmlich in Bezug auf Frauen. Im normalen Alltag war ich nicht schüchtern, da war ich schon eher der Klassenclown, der auch mal einen lockeren Spruch gebracht hat. Auch mit Referaten hatte ich in der Schulzeit keine Probleme, maximal mit mündlichen Prüfungen.
Letztlich ist es so, wenn du im Leben bei etwas erfolgreich bist, dann steigt dein Selbstvertrauen und dann fallen dir gewisse Dinge auch leichter. Wenn du über etwas sprichst, was dir Spaß macht und von dem du Ahnung hast, dann fällt es dir leichter. Wenn mich jetzt die Allianz einladen würde, damit ich einen Vortrag über Lebensversicherungen halte, dann würde ich wahrscheinlich auch nicht so selbstbewusst dastehen und sagen, was Sache ist.
Aber im Fußball fühle ich mich Zuhause, da bin ich der Überzeugung, dass die Dinge, die ich erzähle zumindest nicht falsch sind. Da fällt es mir leichter auch mal Vorträge zu halten. Meine Frau damals anzusprechen, war jedenfalls deutlich komplizierter.
Was uns noch interessieren würde. Du hast dir ja ein Ziel gesetzt, dass du mit Mitte 40 in Rente gehen willst, das sind jetzt noch gut 13 Jahre. Was hast du denn in diesen 13 Jahren noch vor, sportlich und persönlich?
Auf alle Fälle ein paar Titel holen. Mit welchem Klub das dann sein könnte, muss man sehen. Ich wäre jedenfalls glücklich, wenn ich dann etwas gewonnen hätte. Man tritt meines Erachtens nach zufriedener ab, wenn am Ende etwas Zählbares herausgesprungen ist. Ich wäre nicht todunglücklich, wenn ich nichts gewinnen würde, aber das ist schon das, was ich vorhabe.
Dazu will ich die Zeit auch genießen, mir nicht zu viel Druck machen und nicht zu viel Druck von außen zulassen. Man muss sich schon bewusst sein, dass es ein absolut geiles Metier ist, in dem wir uns bewegen. Da darf man die Störfeuer, die von außen an uns herangetragen werden, nicht zu nah an sich heranlassen. Wenn es jetzt noch 13 Jahre werden, vielleicht werden es auch 15 oder 18, aber die möchte ich auf alle Fälle so erleben, dass ich nicht gesundheitlich darunter leide. Auch wenn einen alle bewerten und man permanent im Fokus steht.
Der Plan steht aber schon noch in den Bergen eine Adventure Tours aufzumachen und dann als Guide tätig zu sein?
Ob ich eine eigene Firma mache, das weiß ich nicht, weil da der Zeitaufwand ähnlich hoch wäre, wie der, den ich jetzt schon habe. Aber es gibt ja unzählige bestehende, wo die eine oder andere dabei ist, die mich dann vielleicht auch als Angestellten nehmen würde. Das ist schon ein Traum!
Aber auch da musst du viele Trainerscheine machen, ein Canyoning-Schein beispielsweise dauert glaube ich, drei Jahre. Aber so etwas stelle ich mir vor, da würde ich mich auch drüber freuen. Kann aber auch sein, dass ich eine Schreinerausbildung mache, weil mich das Thema auch sehr reizt. Mal schauen, was die Gegebenheiten sind, wenn es dann mal tatsächlich soweit ist.
Eine gewisse Selbstbestimmtheit scheint dir ja sehr wichtig zu sein. In der letzten Pressekonferenz gab es eine Interessante Frage: Wie du es schaffst, den doch sehr großen und ausgeglichenen Kader bei Laune zu halten? Du hattest auch interessant geantwortet und über intrinsischer und einer extrinsischer Motivation, d.h. über Motivation von innen aus sich selbst bzw. von außen heraus, gesprochen. Als du damals dein BWL-Studium abgebrochen hast, folgte dies aus der intrinsischen Motivation heraus, weil BWL dir keinen Spaß gemacht hat bzw. dich nicht zufriedengestellt hat?
Das hatte einen ganz einfachen Grund. Ich hatte drei/vier sehr schöne Semester, in denen ich gleich voll ins Vertriebswesen reingerutscht bin und auch als Schwerpunkt gewählt sowie auch einen engen Draht zu einem Münchner Automobilhersteller hatte, der mich nach dem Studium sogar direkt übernommen hätte. Es war spannend, weil es durchaus gewisse Parallelen zum Amt des Fußballtrainers gibt, weil du da auch deine Ideen dem Team „verkaufen“ musst.
Dann gab es im vierten Semester eine Hausarbeit zu schreiben, wo es darum ging eine Firma zu übernehmen, die mit dem Rücken zur Wand stand und dort Maßnahmen zu entwickeln, die dafür geeignet sind, damit sich die Firma stabilisiert. Durch diese Hausarbeit ist jeder durchgefallen, weil keiner das Modell hatte Angestellte zu entlassen. Das war der Schlüssel, die goldene Regel, nach der Übernahme mindestens 20% der Belegschaft zu tauschen bzw. zu entlassen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es mir in einer Führungsposition, die ich nach dem Studium angestrebt hätte, schwer gefallen wäre, Familienväter zu entlassen. Das ist schon noch einmal eine andere Tragweite, als einem Fußballprofi zu sagen, dass es hier für ihn nicht weitergeht.
Ein Familienvater, der beispielsweise bei Siemens Ingenieur ist, der kann nach so einer Entlassung mit 45 nicht sagen, jetzt komme ich trotzdem irgendwie über die Runden. Viele Fußballprofis können das auch nicht, aber das ist dann oft auch selbstverschuldet. Das war jedenfalls dann der Punkt, wo ich mir gesagt habe, das ist nicht das, was mich glücklich macht. Mit so einem Ballast möchte ich abends nicht einschlafen.
Dazu habe ich parallel bereits als Trainer gearbeitet und hatte die Motivation, dass dies ein sehr guter Job für mich sein kann. Wobei ich da vorher gar nicht so sehr darüber nachgedacht hatte.
Hast du den Anspruch sich mit solchen eher psychologischen Dingen zu beschäftigen? Vielleicht auch durch den Trainerjob? Immerhin ist selbiger auch sehr abhängig von einem guten psychologischen/emotionalen Bewusstsein.
Ich hatte das große Glück, dass ich aufgrund der Planung meiner Fußballkarriere vom Gymnasium abgegangen bin und ein Fachabitur gemacht habe, weil ich ein Jahr weniger Schule haben wollte. Nicht zuletzt war dies auch ein Wunsch des Klubs. Auf der Fachoberschule hatte ich zwei Jahre Psychologie und Pädagogik als Hauptfach und das war tatsächlich eines der interessantesten Fächer, die ich je hatte. Wäre auf dem Gymnasium gar nicht möglich gewesen.
Deswegen hattest du pro Woche extrem viele Stunden in diesem Bereich und hast dadurch erst einmal die Grundlagen kennen gelernt. Von Freud über Pawlow bis Maslow. Das hat mir geholfen, die Grundzüge des menschlichen Wesens zu verstehen, wobei ich auch zusätzlich viele Bücher dazu gelesen habe. Tatsächlich ist der Mensch meist recht simpel gestrickt bzw. sind diese Modelle recht leicht anwendbar. Das passt dann in den meisten Fällen, natürlich nicht, wenn jemand krank ist, das sind dann andere Geschichten und da fehlen mir ohne Studium ganz sicher auch die Fähigkeiten zur Einschätzung. Um mit gesunden Menschen zu arbeiten, da helfen dir diese Modelle schon weiter.
Im Sportstudium hatte ich auch Psychologie als Schwerpunkt gewählt, weil ich diese menschliche Seite – emotionale Intelligenz, Sozialkompetenz – als wichtig erachte, um eine größere Gruppe erfolgreich zu führen.
In den kommenden Teilen erfahrt ihr, was Nagelsmann zu Taktikfragen und den Neuzugängen zu sagen hat. Dazu stellten wir Fragen zum Nachwuchs, der Fanszene und der Red Bull Arena. Am Dienstag geht es weiter, stay tuned...
Das Interview führten Justgroovy und Rumpelstilzchen.
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