BUNDESLIGA - DIE POLARISIERTE LIGA?

Leipzig - (16.11.2023) Wird der Unterschied zwischen den Topvereinen der Bundesliga und dem Rest der Liga größer? Gilt selbiges für die Teams am Tabellenende, so dass die Diskrepanzen in der Liga immer größer werden? Wie ordnet sich die Bundesliga im internationalen Vergleich ein? JohnnyFirpo aus unserem Forum und vom englischen Podcast "RB L.E. Global Tracks" ist diesen und weiteren Fragen nachgegangen.


Die Bundesliga geht nach elf absolvierten Partien in die letzte Länderspielpause des Jahres. Mit 23 Punkten stehen die Roten Bullen nach knapp einem Drittel der Saison auf Rang 4 und sind damit absolut „im Soll“. Mit dieser Punkteausbeute und der Tordifferenz von +18 hätten die besten Fußballer aus der Heldenstadt zum gleichen Zeitpunkt in der vergangenen Spielzeit von der Spitze gegrüßt. Dass es dafür in dieser Saison nicht reicht, liegt natürlich an der herausragenden Performance von Bayer Leverkusen, die 31 von 33 möglichen Punkten geholt haben. Auch die Bayern spielen auf dem Niveau, was wir von ihnen gewohnt sind. Mit 29 Punkten sind sie erster Verfolger, vor den Stuttgartern, die nicht zuletzt dank Guirassy ebenfalls sehr gute 24 Punkte bisher sammeln konnten. Das Spitzenquintett komplettiert die Borussia aus Dortmund mit 21 Punkten. Insgesamt gehen in dieser Saison nach elf Spielen 128 von maximal 165 Punkten auf das Konto der Top-5 - mit Abstand so viele wie noch nie seit der Einführung der 3-Punkte-Regel 1995.
Fragen über Fragen
Es ist also nicht nur Bayer Leverkusen, welches ein weit überdurchschnittliches Ergebnis erzielen konnte. Auch die Verfolger auf den Champions League-Plätzen bzw. dem Europa League-Platz spielen demzufolge deutlich stärker als vergangenes Jahr. Diese Erkenntnis führte den Autor zu mehreren Fragen. Erstens: Gilt im Umkehrschluss auch, dass die Mannschaften auf den letzten fünf Plätzen schwächer spielen als im Durchschnitt seit 1995? Zweitens: Wie stellt sich das Ganze am Saisonende - sowohl an der Spitze als auch am Ende - dar? Drittens: Gibt es einen Trend, dass der Abstand zwischen den Top-5 und den letzten 5 Teams sowohl nach dem ersten Drittel, als auch nach Abschluss einer Spielzeit immer größer wird? Viertens: Falls dem so ist, ist das ein Phänomen der Bundesliga oder lässt sich das auch in der Premier League beobachten? Und schließlich - falls das alles so ist wie vermutet: Woran liegt es und was bedeutet das für die Zukunft?
The Trend is your friend
Der Reihe nach geht der Blick zunächst an das Tabellenende. Dort stehen derzeit Bochum, Darmstadt, Mainz, Köln und Union Berlin mit insgesamt 36 Punkten. Das sind die zweitwenigsten seit 1995 und wurde nur zum gleichen Zeitpunkt 2016 unterboten, als Wolfsburg, Darmstadt, Bremen, Ingolstadt und der HSV auf nur 32 Punkte kamen. Es ist überhaupt erst das siebte Mal seit 1995, dass die fünf Clubs am Tabellenende unter 40 Punkten bleiben. Allein viermal war das jedoch in den vergangenen acht Jahren der Fall. Damit lässt sich die erste Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten. Zusätzlich ist auch ein Trend zu geringeren Punktzahlen erkennbar.
Kommen wir zur zweiten Frage und der Betrachtung des Saisonendes. Letztes Jahr beendeten Bayern, Dortmund, Leipzig, Union Berlin und der SC Freiburg die Bundesliga mit insgesamt 329 Punkten. Das ist zwar kein Rekord, jedoch ein Ergebnis im oberen Viertel aller Spielzeiten seit 1995, wurde es seit dem nur fünf Mal übertroffen. Betrachtet man die Entwicklung in den vergangenen 28 Jahren, ist hier allerdings gleichermaßen ein Trend zu durchschnittlich höheren Punkteausbeuten der Top-5 Teams festzustellen. Weniger als 320 Punkte erreichte das Spitzenquintett seit 2011 nur ein einziges Mal (2018). Von 1996 bis 2008 wurde diese Marke dagegen nur drei Mal übertroffen (2002, 2004, 2006). Oben geht der Trend also zu mehr.
Die Schere öffnet sich
Im Keller mussten sich im Sommer dieses Jahres Bochum, Augsburg, Stuttgart, Schalke und Hertha BSC mit 162 Punkten zufriedengeben. Ganz leicht über dem Schnitt seit 1995 (160,75). Viel spannender ist jedoch der Abstand zwischen oben und unten. Wie viel Prozent der Punkte der Top 5 haben die sog. „Bottom 5“ geholt. Hier geht der Trend seit 1995 von über 50% (mit dem Spitzenwert von 62% in der Saison 1997/98) klar zu unter 50% seit Anfang dieses Jahrzehnts. Absoluten Tiefpunkt bildete dabei die Saison 2018/19, als Schalke, Augsburg, Stuttgart, Hannover und Nürnberg mit 133 Punkten gerade einmal knapp 40% der Punkte der Spitze um Bayern, Dortmund, Leipzig, Leverkusen und Mönchengladbach holen konnten (333). Der Abstand zwischen oben und unten wird also tendenziell größer, oder anders ausgedrückt: Die Liga polarisiert. Die eingangs gestellte Frage Nr. 3 wäre damit auch beantwortet - jedenfalls für komplette Spielzeiten. Doch auch nach einem Saisondrittel (11 Spiele) stellt sich die Situation beinahe exakt gleich dar.
Setzt man die Ausbeute von 36 Punkten „unten“ zum bereits erwähnten Rekord von 128 Punkten „oben“ ins Verhältnis, ergibt das einen Wert von 28%. Wenig verwunderlich, dass es nie geringer war, jedoch ist auch hier zu konstatieren, dass es seit 2014 niemals über 40% waren, was die „Bottom 5“ imstande waren im Verhältnis zur Tabellenspitze einzufahren. Ein Wert, welcher in den 90ern und frühen 2000ern noch häufig erreicht wurde (von 1995 bis 2006 nur drei Mal darunter). Diese Beobachtung führt zur Beantwortung der Frage 3 auch mit einem klaren „Ja“: Ja, der Abstand zwischen den Plätzen 1 bis 5 und 14 bis 18 hat sich im Beobachtungszeitraum tendenziell vergrößert. (Anm.: die prozentualen Abstände nach 11 Spieltagen und nach 34 Spieltagen können nicht miteinander direkt verglichen werden!)
Nur ein Bundesliga-Phänomen?
Werfen wir abschließend einen Blick über den Ärmelkanal in die Premier League, um die letzte Frage zu beantworten. Um es vorwegzunehmen: Die Trends zeigen das gleiche Bild. Die Spitze vergrößert den Abstand zum Ende zusehends. Jedoch erscheint die Polarisierung hier noch drastischer auszufallen. Nach elf Spieltagen (Anm. vor der Länderspielpause wurden in Englands Spitzenliga bereits 12 Spieltage absolviert. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde jedoch der Tabellenstand nach 11 Runden herangezogen) stehen in dieser Saison Everton, Luton, Bournemouth, Burnley und Sheffield United mit mageren 31 Punkten ganz unten. Das sind lediglich 25% der 123 Punkte, welche ManCity, Tottenham, Liverpool, Arsenal und Aston Villa auf der Habenseite verbuchen können. Über 40% war der Anteil das letzte Mal in der Spielzeit 2010/11 (46%) und seit 1995 gab es das in der Premier League überhaupt nur sechs Mal. (Bundesliga zehnmal).
Nach vollen Spielzeiten bestätigt sich das: Schwankte der Anteil der Punkte, welche die letzten fünf im Vergleich zu den fünf bestplatzierten sammeln konnten zwischen 1995 und 2005 um die 50%, kam das seit 2011 überhaupt nicht mehr vor. (Zum Vergleich Bundesliga: seit 2011 viermal über 50%). Da in der Premier League 20 Mannschaften teilnehmen, und demzufolge 4 Spieltage mehr zu absolvieren sind, entstehen freilich Ungenauigkeiten im Vergleich beider Ligen. Da mit mehr Spielen prinzipiell mehr Punkte gesammelt werden - an der Spitze wie auch im Keller -, sollte der relative Abstand zueinander in der Premier League eigentlich geringer ausfallen. (Bei gleicher Qualität der Polarisierung). Das Gegenteil ist jedoch der Fall!
Von der Retro- zur Prospektive
Woran liegt diese Entwicklung nun und was bedeutet das für die Zukunft? Diese Fragen zu diskutieren, bietet Stoff für mehrere Artikel. Die bescheidene Meinung des Autors ist die folgende: Um ganz oben anzugreifen, braucht es zunehmend Qualität im Kader, die sich vom Rest der Liga - und insbesondere von den Abstiegskandidaten - deutlich abhebt. Gleichzeitig wird der Spielraum für Fehler im Sinne von Punktverlusten immer kleiner, will man am Saisonende auf einem der ersten fünf, besser natürlich vier Plätze stehen. Das erhöht wiederum den Druck auf alle Teile innerhalb eines Clubs: Das Scouting darf keine Fehleinschätzung abliefern. Die sportliche Leitung muss dafür sorgen, dass jeder Transfer sitzt. Jedes Spiel ist ein Endspiel (dafür zahlt der Autor gern), sodass intern tatsächlich gegen Mannschaften wie Bremen, Heidenheim, Bochum, Mainz, Darmstadt etc. der Begriff „Pflichtsieg“ laut ausgesprochen werden muss. Punktverluste gegen die „Bottom 5“ sind besonders schmerzhaft - am Beispiel RB darf jeder gern selbst ein Mal 6 Punkte aus dem Gastspiel in Bochum und dem Heimspiel gegen Mainz letzte Saison gedanklich auf die Abschlusstabelle drauf rechnen. (Btw: ohne die 3 Punkte gegen uns wäre Bochum gegen den HSV in die Relegation gegangen …). Chefcoach, Staff und selbstredend die Spieler müssen permanent von An- bis Schlusspfiff zu 100% bei der Sache sein und am Limit agieren.
Für die Zukunft erwarte ich, dass es an der Spitze zu noch weniger Fluktuation führen wird, als ohnehin schon. Das Spitzenquartett in Form von Bayern, Dortmund, Leverkusen, Leipzig wird auf lange Sicht so bestehen bleiben. Ehemalige Dauergäste in der Champions League und den Europa Ligen wie Schalke, Mönchengladbach sowie der HSV (obwohl es bei letzterem inzwischen lang zurückliegt) werden - bei allem enormen (Fan-)Potential so schnell nicht wieder kommen. Der Abstand zur deutschen Fußball-Elite ist einfach zu groß, als dass dieser mit den bestehenden Regeln - insbesondere durch 50+1 - wieder aufgeholt werden kann.
Würde es etwas ändern, wenn die Liga sich für Investoren öffnete? Ich für meinen Teil beantworte das mit einem klaren „Ja“. Würde eine solche Öffnung etwas an der Polarisierung der Liga ändern? Hier: Klares „Nein“. Die Premier League dient hier als gute Vergleichsgröße. Zwar ist die Gruppe der „Üblichen Verdächtigen“ für die europäischen Wettbewerbe m.E. größer als in der Bundesliga, wie jedoch oben dargestellt ändert das Vorhandensein von obszön tiefen Geldquellen nichts an der Polarisierung innerhalb der Liga.
Um hier tatsächlich wieder mehr Ausgeglichenheit herzustellen, bräuchte es wohl eher ein echtes europäisches und stringent durchgesetztes „Financial Fair Play“. Wie so etwas ausgestaltet werden müsste, liegt jedoch jenseits meines Ideenspektrums.
JohnnyFirpo
P.S: Ihr könnt JohnnyFirpo im englischsprachigen Podcast "RB L.E. Global Tracks" hören. Wollt ihr Kontakt zu ihm aufnehmen, gern übers Forum oder auf X unter @podcast_RBL.
Permalink:
https://www.rb-fans.de/artikel/20231116-special-polarisierungligen.html
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